Natürlich gibt es Helene Fischer mit ihrem Spektakel-Mix aus Las Vegas und Chinesischem Nationalcircus. Aber abgesehen von Superhelene feiert im deutschen Schlager seit Jahren niemand solche Triumphe und zieht so viele Fans an wie Roland Kaiser. 70 000 waren es diesen Sommer bei sechs „Kaisermania“-Konzerten am Elbufer in Dresden, schon wieder ein neuer Rekord. Und in Bayern gab Schloss Neuschwanstein im Juli die Traumkulisse für die Open-Air-Sause in Füssen ab.
Der Kaiser beim Kini – davon konnte der Sänger nicht einmal träumen, als 2010 nur eine Lungentransplantation sein Leben rettete. Heute erscheint sein neues Studioalbum „Perspektiven“, dessen Titel zeigt, dass Roland Kaiser mit 70 noch einiges vor hat. Seit dem großen Comeback, das 2013 mit seiner Rolle im Münster-Tatort „Summ, Summ, Summ“ so richtig Fahrt aufnahm, landen Kaiser-Platten wie „Auf den Kopf gestellt“ oder „Alles oder Dich“ zuverlässig auf den Top-Plätzen der deutschen Album-Charts. Nur auf eine Nummer 1 wartet er seit 1981, seit „Dich zu lieben“, vergeblich.
Das könnte sich mit „Perspektiven“ ändern. Denn der Berliner ist „in“ wie nie – auch bei überraschend vielen jungen Fans, die in den Konzerten jede Zeile von „Joana“ oder „Manchmal möchte ich schon mit dir“ auswendig mitsingen. Auf der neuen Platte ist der Kult-Kaiser erneut zwischen fidelem Popschlager („Gegen die Liebe kommt man nicht an“) und zeitgenössischem Chanson („Zuversicht“) unterwegs. Udo Jürgens beherrschte diese Mischung meisterlich. Und vor allem live, wenn ihn ein Dutzend herausragende Musikerinnen und Musiker begleiten, hat Roland Kaiser längst dessen Nachfolge angetreten. Einer wie Udo, bloß ohne weißen Bademantel.
„Ich glaube, dass man in einem gewissen Alter auch mal die unterschiedlichen Perspektiven aufs Leben beschreiben kann“, verrät der Sänger zum neuen Album – das ihn aber nur vereinzelt als gereiften Gentleman präsentiert, der Rückschau hält. „Das erste Mal“ ist so ein Lied, ein Kaisersches „Und es war Sommer“ von Peter Maffay. O-Ton der amourösen Früherziehung: „Wovor hast du denn so ’ne Angst, ich weiß, dass du die Liebe kannst.“ Und wenn das Album mit der Ballade „Bis zum letzten Atemzug“ endet, geht es natürlich um Kaisers Krankheitsgeschichte und das Happy End: „Der Song beschreibt mit den richtigen Worten meinen persönlichen Lebensweg.“
Vor allem aber zeigt der „Soft-Pornograf des deutschen Schlagers“, als den ihn eine Journalistin einst bezeichnete, dass sich „Liebe“ bei ihm weiterhin auf „Triebe“ reimt, und dass es auch für seinen echten Nachnamen „Keiler“ einen passenden Reim gibt. Möglichen Protesten gegen die Multi-Erotik-Fantasie „Du, Deine Freundin und ich“ blickt Kaiser entspannt entgegen: „Da versucht jemand ein erotisches Abenteuer einzugehen. Derjenige unternimmt den Versuch, eben zwei Damen zu fragen, ob es denn auch für sie eine Option wäre. Wenn sich daran jemand stört, dann ist das eben so.“ Selbst für einen Grandseigneur von 70 Jahren gilt auf der neuen Platte: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn ihm die schönen Nachbarinnen gefallen. Oder auch: Manchmal möchte ich schon mit dir und dir.