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von Redaktion

INTERVIEW Timothée Chalamet über seine neue Rolle als Menschenfresser in „Bones and all“

„Es ist so hart, in der jetzigen Zeit zu leben!“ Er ist ein Kind des digitalen Zeitalters – und hasst es. Hätte Timothée Chalamet die Wahl, wäre er lieber in einer früheren Generation aufgewachsen. So wie zum Beispiel in den Achtzigerjahren, in denen sein neuer Film „Bones and all“ spielt. Darin mimt der 26-jährige Schauspieler den Kannibalen Lee, der mit seiner gleichgesinnten Freundin Maren (Taylor Russell) durch den amerikanischen Mittleren Westen reist. Bei der Premiere beim Filmfestival in Venedig verriet uns Chalamet, warum er auf Soziale Netzwerke auch gut verzichten könnte: „Als Vertreter meiner Generation kann ich sagen, dass man sich schon sehr von allen Seiten bewertet und kritisiert fühlt. Ich kann mir kaum ausmalen, wie schlimm es für Kids heute ist, mit ständigen Social-Media-Attacken aufzuwachsen.“ Ein Gespräch über die Suche nach dem eigenen Platz im Leben.

Ihr Film spielt in den Achtzigerjahren…

… und es war echt befreiend, einfach mal jemanden zu spielen, der ohne Nebengeräusche mit seinem inneren Dilemma kämpfen muss. Der ohne dass er auf Twitter, Instagram oder TikTok gehen kann, für sich herausfinden muss, wo er sich zugehörig fühlt. Der sich ohne ständige Bewertung durch andere auf die Suche nach seinem Stamm macht und diesen entdeckt.

Ein Teenie-Kannibale auf der Suche nach sich selbst – damit werden sich nicht sehr viele identifizieren können.

Im Gegenteil. Wir leben gerade in Zeiten, in denen man den gesellschaftlichen Zusammenbruch in der Luft liegen spürt. Und ohne jetzt überheblich zu klingen, Filme wie dieser sind deshalb sehr relevant, weil sie das beleuchten, was gerade in unserer Welt vor sich geht.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal in Ihrem Leben richtig zugehörig gefühlt? Oder anders gefragt: Wann haben Sie Ihren Stamm gefunden?

Als ich in New York aufgewachsen bin, habe ich mit zwölf oder 13 Jahren realisiert, dass ich mich zu den Leuten des Theaters zugehörig fühle. Das wurde mir klar, als ich Denzel Washington am Broadway in „A Raisin in the Sun“ gesehen habe. Ich machte gerade eine schwierige Zeit durch, weil meine Oma in diesem Jahr gestorben war. Und ich suchte meinen Stamm, einen Anker – und fand diesen in der Welt des Theaters. Als ich das realisiert habe, fühlte ich mich zu Hause.

In Ihrem letzten Film „Dune“ sind Sie der große Held, der die Welt rettet. Als Lee in „Bones and all“ sind Sie ein gesellschaftlicher Außenseiter.

Dieser Gegensatz ist eine Herausforderung, die sicher mit der Grund war, warum ich die Rolle wollte. Vom heldenhaften Alpha-Tier zu einer gebrochenen Seele, das ist für mich eine sehr attraktive Sache.

Im Film sagen Sie den Satz „Liebe ist, was uns rettet und uns befreit“. Glauben Sie persönlich auch daran?

Das ist eine sehr schöne Frage, allerdings auch eine sehr persönliche. Ich weiß es nicht ganz genau. Aber im Bezug auf die Liebe durch Familie und Freunde stimmt das so auf jeden Fall. Auf die andere Art von Liebe bezogen, muss ich sagen: Ich bin noch sehr jung. Und hoffentlich gibt es außer der Liebe, die dich in deinem Selbstwert bestätigt, noch eine nächste Stufe. Etwas noch Großartigeres…

Der Ruhm führt in Ihrer Branche oft dazu, dass man sich ebenfalls isoliert fühlt. Konnten Sie aus eigener Erfahrung Elemente in Ihre Rolle als Lee einbauen?

Ja, allerdings basierte das weniger auf den Erfolgen in meinem persönlichen Leben. Ich denke, wir alle haben uns während des Lockdowns in der Pandemie gesellschaftlich isoliert gefühlt. Nicht, dass wir alle aufmerksamkeitshungrige Narzissten sind. Aber trotzdem brauchst du als Mensch den Kontakt zu anderen, um zu verstehen, wer du bist. Ich habe mich deshalb damals ähnlich desillusioniert gefühlt wie Lee im Film.

Das Gespräch führte Patricia Danaher.

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