Horror und Heimeliges

von Redaktion

Das Münchner Fantasy Filmfest setzt auf Bewährtes

VON THOMAS WILLMANN

Wir sind alle nur verängstigte Menschlein, die in überfordernder Situation ihr Bestes versuchen, sagt der Ex-Pilot in „Emergency Declaration“. Der koreanische Blockbuster-Thriller lässt das gute alte Katastrophenfilm-Genre wieder aufleben: Ein Psychopath versprüht an Bord einer Passagiermaschine ein Virus. Doch auch, wenn die Flugkurve des Plots die übliche Landung macht, schrammt der Film davor nah an einem Gedanken vorbei: dass manche Ereignisse eine Gesellschaft zum Tragflächenbruch bringen könnten.

Ja, „Emergency Declaration“ ist ein Pandemie-Film – und als Reaktion auf die vergangenen zweieinhalb Jahre nicht untypisch im Programm des diesjährigen Münchner Fantasy Filmfests. Nachdem die vorangegangenen Jahrgänge eine zunehmende Experimentierfreude an den Tag legten, scheinen sich das Genre-Kino und das Fantasy Filmfest als dessen alljährliche Leistungsschau (wie so vieles derzeit in unserer Kultur) nun wieder aufs Bekannte und Bewährte zurückzuziehen.

Schon die heutige Eröffnung der Festivalwoche mit „Don’t worry Darling“ im City Kino setzt auf Hollywood-Starkino: Harry Styles und Florence Pugh begeben sich im neuen Film von und mit Olivia Wilde („Booksmart“) zurück in die Fünfzigerjahre, wo sie hinter der utopischen Fassade einer Firmen-Kleinstadt Finsteres entdecken. Colin Farrell hingegen macht sich in Kogonadas „After Yang“ Gedanken über Erinnerung und Identität – ein Science-Fiction-Kammerspiel in der Nachbarschaft von „Her“ und „Ex Machina“. Und Südkorea beweist sich nicht nur in „Emergency Declaration“ einmal mehr als Popkultur-Supermacht. Die Stars aus „Parasite“, „Squid Game“ & Co. sind noch mit drei weiteren Filmen vertreten – darunter Lee Jung-jaes Regiedebüt „Hunt“.

Statt Erkundung unerschlossenen cineastischen Territoriums konzentriert man sich diesmal vor allem auf Europa – inklusive der Heimspiel-Premiere der deutschen Netflix-Produktion „Old People“. Skandinavien und Benelux waren ja schon immer Meister im Ausstellen sämtlicher Zumutungen des Zwischenmenschlichen. Und zelebrieren hier etwa mit „Speak no Evil“ den Horror der Urlaubsbekanntschaften, mit „Moloch“ die heidnischen Abgründe niederländischer Provinz.

Selbst jene Werke, die bewusst die Grenzen des Erträglichen zu übertreten versuchen, scheinen dabei heimelig eingebettet in der Tradition skandalumwitterten Kinos: Karim Ouelhajs „Megalomaniac“ fantasiert dem realen „Schlächter von Mons“ zwei Erben hinzu. Der Film ist jedoch recht präpotent in seinem Kunstwillen und plump in seinem Blick auf Täter-Opfer-Psychologie.

Viele Beiträge fanden die letzte Zeit bedrückend genug und suchen ihr Heil im finsteren Humor: Das Fantasy Filmfest ist, bei allem Horror, mehr denn je auch Hort für schwarze Komödien. Wobei eine Riege junger Regisseurinnen sich diesmal mit „Employee of the Month“, „Piggy“ und „Sissy“ trotz feministischem Twist und Social-Media-Präsenz als überraschend traditionalistisch zeigt. Gabriele Mainetti („Jeeg Robot“) verhebt sich in „Freaks Out“ außerdem ein bisserl am Mix aus überdrehtem Zirkus-Spektakel, Poesie und Nazi-Gräuel. Ausgerechnet eine vermeintliche „Der weiße Hai“-Parodie aber entpuppt sich als schönste Pandemie-Parabel: „Year of the Shark“ von Ludovic & Zoran Boukherma ist eher Remake des Spielberg-Klassikers in Gestalt eines verschrobenen französischen Provinz-Panoramas. Auch hier: Die verängstigten Menschlein lassen ihre Gemeinschaft von der äußeren Bedrohung spalten. Aber da ist noch die Wasserpolizistin Maja (Marina Foïs) kurz vor der Frührente – stur auf einsamem Posten. Eine wahre Heldin für unsere Zeit.

Bis 14. September

in München im City Kino und 21. bis 28. September im Nürnberger Cinecitta’;

Tickets und Informationen im Internet unter

fantasyfilmfest.com.

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