Die Grenzgängerin

von Redaktion

Das Haus der Kunst zeigt einzigartige Schau der Video- und Performance-Künstlerin Joan Jonas

VON KATJA KRAFT

Mit Honig fängt man gewöhnlich Schleckermäulchen. Und wenn sie schon einmal da sind, dann bleiben sie kleben. Im Haus der Kunst. Jetzt natürlich nicht im wörtlichen Sinne wie die Klima-Aktivisten von „Lost Generation“. Sondern bildlich gesprochen: Mit allen Sinnen lässt man sich von den Werken, die ab heute zu sehen sind, einfangen. Allerdings nur, wenn man bereit ist, Ohren, Augen, Hände, Nase und Mund auch tatsächlich für das zu schärfen, was auf den ersten Blick zugegebenermaßen sperrig wirkt. Die wegweisende Performance-, Video- und Installationskünstlerin Joan Jonas fordert uns mit ihren umfangreichen Arbeiten heraus.

Deshalb ist die Idee von Andrea Lissoni, dem künstlerischen Direktor des Hauses der Kunst, so charmant. Lissoni, immer gewillt, seine Ausstellungshalle nach außen hin zu öffnen, mit anderen Institutionen, vor allem aber mit der gesamten Stadtgesellschaft zu interagieren, hat den Imker im benachbarten Englischen Garten gebeten, Honig für die Schau herzustellen. Weil eins der Lebensthemen der großen, 1936 in New York geborenen Künstlerin Joan Jonas die Natur ist. Ihre Liebe dazu gibt es also ab November in Gläser abgefüllt im Museumsshop zu kaufen.

Und schon vorher gibt es: die bisher umfangreichste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland. Laut ist es in den hohen Hallen des Ostflügels, den Joan Jonas komplett bespielt. Und wenn, wie in Raum neun, zwei Videos gleichzeitig auf Leinwänden gezeigt werden, dann übertönen die Worte einander, die aus den jeweiligen Boxen schallen. Sie wird zu einem kaum entknäuelbaren Stimmengewirr, diese Installation „Moving off the Land II“ (2019), nur vereinzelte Wörter schnappt man auf – und begreift doch. Die Bilder, die Jones kunstvoll im Video zusammenfügt, dazu die bunten Zeichnungen von Unterwassertieren an der Wand, führen uns die Mystik der noch weitgehend unerforschten, schier endlosen Meereswelten vor Augen. Ihre Schönheit, ihre Erhabenheit – und auch ihre Verletzlichkeit. In all den Jahren ihres Schaffens ging es Joan Jonas darum, uns die Anmut der Welt wieder bewusst zu machen; und unseren brutalen Umgang damit.

Besonders stark wirkt das in der Installation „Stream or River, Flight or Pattern“ (2016/17). In drei Videos nimmt sie uns mit auf eine surreale Reise. Eine Frau im mit Vögel-Prints verzierten Kleid hält ein ausgestopftes Federtier in der Hand, dreht es in alle Richtungen, als würde es noch fliegen können. In den Leinwandhintergrund projiziert Jonas verschiedene Naturaufnahmen, die sie auf Reisen gefilmt hat. Grüne Bäume, blaue Himmel – natürliche Lebensräume des leblosen Tieres in der Hand der Frau. Mag es auch noch so sehr aus den Lautsprecherboxen zwitschern, dieser Vogel hebt nicht mehr ab. Genau wie die in Käfigen gefangen gehaltenen, farbenprächtigen Papageien und Kakadus, die auf einmal auf der Bildfläche erscheinen. Es ist ein ständiger Mix aus Dokumentation, Inszenierung, Performance, dann wieder Malerei, Zeichnung, vermischt zu einem einnehmenden, manchmal lustigen, sehr oft erschütternden Ganzen. Der Mensch –nicht nur dem Menschen ein Wolf.

Das Außergewöhnliche an Joan Jonas’ Arbeit ist, dass sie ihre Performances in Installationen und Videos überführt. Dieses kunstvolle Ineinandergreifen nimmt die Ausstellung auf; da werden Masken und Requisiten aus früheren öffentlichen Aktionen bis weit zurück in die Sechzigerjahre zu eigenständigen Werken; wandelt sich eine einstige Filmkulisse zur Skulptur.

Dass die Ausstellung jetzt überhaupt in München gezeigt werden kann, nachdem sie 2018 wie berichtet wegen der damaligen katastrophalen (finanziellen) Situation im Museum abgesagt worden war, ist unter anderem dem engagierten Förderkreis Freunde Haus der Kunst zu verdanken. Mit 350 000 Euro beteiligen sie sich an der Werkschau der US-amerikanischen Vorreiterin der Video- und Performance-Kunst. Und setzen sich so dafür ein, dass Andrea Lissoni seine künstlerische Vision vorantreiben kann: in München einen Ort zu schaffen, der keine klassischen Ausstellungen zeigt, sondern ein Programm veranstaltet. So ist auch Jonas’ Schau der Ausgangspunkt für allerlei Aktionen mit Musik, weiteren Künstlern, Performances, die bis Februar folgen werden. Ein wahres Fest – für alle Sinne.

Bis 26. Februar 2023

im Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1; Mo., Mi., Fr., Sa., So. 10 bis 20 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr; Das vielfältige weitere Programm zur Ausstellung gibt es online unter www.hausderkunst.de. Katalog: erschienen im Hirmer Verlag, München, 288 Seiten; 29,90 Euro.

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