Weiblichkeit im Wandel

von Redaktion

Faszinierendes Buch erzählt die Geschichte der Frauen anhand von 100 Dingen

VON KATJA KRAFT

Der Bikini. Eine Befreiung! Nun ja. Es stimmt schon: Als Louis Réard seine Erfindung für den Badespaß 1946 erstmals präsentierte, war das ein modisches Ausrufezeichen für selbstbewusste Frauen. Ein Freimachen im wahren Sinne des Wortes, weg von einengenden Miedern hin zu einem neuen, entspannten Körperbewusstsein.

Dann kam das „Bodyshaming“, das Schämen für den eigenen Körper. Vergeht eigentlich ein Frühling ohne Zeitschriften-Ausgaben mit „Tipps zu der perfekten Bikini-Figur“? Die westliche Frau wird nicht mehr von Kleidung eingezwängt – schnürt sich das Korsett dafür pflichtschuldig selbst. Ein gedankliches zwar, aber wirkungsstark: „Keep in Shape“ – bleib’ in Form! – lautet das Motto.

Und damit erzählt allein dieses bisschen Stoff eine ganze Menge über die Geschichte der Frauen. Über Entwicklungen und Rückentwicklungen. Wie so viele Dinge, wenn man sie genauer betrachtet. Das hat Annabelle Hirsch getan. In ihrem kurzweiligen Buch „Die Dinge“ rekapituliert sie die Geschichte der Frauen in 100 Objekten. Die Auswahl ist der 1986 geborenen, deutsch-französischen Journalistin geglückt. Natürlich sind in ihrer Wunderkammer der Weiblichkeit auch naheliegende, weil gesellschaftspolitisch höchst relevante Dinge wie die 1960 auf den Markt gebrachte Antibabypille oder die ersten Minikleider in den Sechzigerjahren. Hirschs Hauptaugenmerk aber liegt auf den Gegenständen, die einem nicht gleich in den Sinn kommen.

Wie Abbilder von Höhlenmalereien. Was klar ist: Dass die etwa 20 000 Jahre vor Christus entstanden sind. Was klar schien: Dass vor allem Männer sich damit an den Wänden verewigt haben. Eine These, der US-Forscher Dean Snow widerspricht. Dessen jüngste Studien der El-Castillo-Grotte in Spanien und der französischen Gargas- und Pech-Merle-Höhlen ergaben laut Hirsch, dass 75 Prozent der dort an den Wänden zu sehenden Handabdrücke von Frauen sind. Mehrere Anschlussthesen über die Rolle der damaligen Frau ergeben sich daraus. Die möglicherweise schönste: „Vielleicht waren die ersten Künstlergenies unserer Geschichte Frauen.“

Es geht der Autorin also auch um ein Überdenken der von uns manchmal allzu sorglos übernommenen Annahmen über die Rolle der Frau. Als Annabelle Hirsch im privaten Kreis von ihrer Buchidee erzählte, meinte ein Mann laut lachend: „Frauen und Objekte? Aber Frauen sind doch Objekte!“ Ihr Bekannter tat also, was die Gesellschaft gern tut: die Frauen mit den Objekten gleichzusetzen, mit denen sie sich ihre Räume teilten. Nicht nur Näh- und Schreibmaschine, auch gläserne Dildos (aus dem 16. Jahrhundert!), ein Metall-Korsett, später: Weltfrauentag-Anstecker, Abzeichen der Women Airforce Service Pilots, Tupperware und Menstruationstasse.

Oder der bereits erwähnte Bikini. Aufs „Body Shaming“ folgt „Body Positivity“, also die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper. Das ist das Ziel der jungen Frauen-Generation. Die Geschichte geht weiter.

Annabelle Hirsch:

„Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten“. Kein & Aber Verlag, Zürich, 419 Seiten; 32 Euro.

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