Man muss nicht mal zu den Hardcore-Nostalgikern gehören, die den bunt geringelten Olympia-Dackel immer noch in irgend einem Schrank ganz hinten verwahren. Nein, auch wer als Münchner die Olympischen Spiele 1972 einfach noch selbst erlebt hat, zumindest als Kind, für den ist dieser Theater-Abend sofort ein Déjà-vu. Schon rein optisch, denn die Bühne im Marstall des Residenztheaters prangt in Hellblau, Hellgrün, Hellorange, Hellviolett. In den Farben von Olympia ’72 eben, die auch die herrlich altmodischen, ziemlich originalgetreuen Jacken und Dirndl der Akteure zeigen. Was insgesamt beweist: Otl Aichers Olympia-Design von damals entfaltet seine effektvoll-prägende Wirkung bis heute.
Auch sonst wird das Konzept der „heiteren Spiele“ zunächst einmal sehr vital vergegenwärtigt in der Uraufführung von Regine Duras und Hans-Werner Kroesingers Dokumentartheaterprojekt „Die Spiele müssen weitergehen – München 1972“: Da flackern historische Filmaufnahmen über die Wände, Zeitungsberichte werden zitiert, denen zufolge bei den Spielen etwa ein Ansturm von „12 000 Personenkraftwagen“ zu erwarten sei, und die Schauspieler Hanna Scheibe, Patrick Bimazubute, Florian von Manteuffel, Thomas Reisinger sowie Pujan Sadri tröten und singen Hits jener Zeit wie „I can see clearly now“ oder „Ha ha said the Clown“.
Sehr komisch, freilich nur im Rückblick, wirken auch die Verhaltensregeln, die, so erfährt man, Erich Mielke persönlich den handverlesenen DDR-Bürgern auferlegte, die als Olympia-Touristen nach München reisen durften. So waren etwa „Pünktlichkeit und korrekte Kleidung“ unerlässlich, aber zugleich gab der fürsorgliche Arbeiter- und Bauernstaat seinen offenbar kindlich-unmündigen Insassen hilfreiche Gesundheitstipps mit auf den Weg nach Westen, wie etwa: „Vorsicht bei eisgekühlten Getränken!“
Doch dann ein umso abrupterer Umschwung der Atmosphäre: betretenes Schweigen statt Lachen, der Einbruch des Schreckens, der Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft. Fast generalstabsmäßig werden die Ereignisse mit genauen Uhrzeitangaben von den fünf Darstellern rekapituliert – und man meint im Publikum ein fernes Echo jener Beklommenheit wahrzunehmen, an die sich jeder erinnern wird, der die Ereignisse damals schon bewusst mitbekommen hat.
Aber auch die politischen Peinlichkeiten in den Jahrzehnten nach dem Attentat kommen an diesem Abend zur Sprache. So bemühte sich etwa die Witwe des ermordeten israelischen Fechters Andrei Spitzer jahrelang vergeblich um die Herausgabe von Obduktionsberichten und anderen Akten, aber sie erhielt stets die Antwort, solche Akten gebe es nicht. Sogar Außenminister Genscher, der sie einmal in Israel um sechs Uhr früh kurz empfing, sagte ihr das ins Gesicht. Erst 1992 erhielt sie von einem deutschen Whistleblower in den Behörden erste Dokumente, und später gab die Bundesrepublik zu, dass zu den Geschehnissen von damals massenweise Akten existieren. Sie waren vermutlich deshalb geleugnet worden, weil ihr Inhalt den Angehörigen der Opfer Material für Entschädigungsklagen geliefert hätte.
Immer noch unklar ist hingegen die Rolle des deutschen Rechtsextremisten Willi Pohl bei der Unterstützung der Attentäter. Pohl setzte sich später nach Beirut ab, aber die Akten zu seinem Fall sind auf 60 Jahre gesperrt. Was allerdings – das wird im Stück nicht erwähnt – vielleicht auch damit zusammenhängen könnte, dass Pohl ab 1975 für die CIA tätig gewesen sein und den PLO-Geheimdienst ausspioniert haben soll.
Am Ende dieses Theaterabends fühlt man sich dann wie von einer kleinen Zeitreise zurückgekehrt. Denn im Collagestil von Radio-Features werden hier Informationen nicht bloß „transportiert“, sondern so überblendet, dass vor allem Stimmungen nacherlebbar sind. Herzlicher Applaus.
Nächste Vorstellungen
am 30. September sowie am 2., 8. und 23. Oktober;
Telefon 089/ 21 85 19 40.
Der Auftakt erinnert an die „heiteren Spiele“
Der Abend ist eine Zeitreise in die Siebziger