Deckenhohe, rosafarbene Vorhänge rahmen den spiegelnden Boden und das Blütenblätter- oder Vagina-Motiv im besten Georgia-O’Keeffe-Stil an der Stirnseite der Bühne ein. Ist das von der Decke baumelnde Plüschherz eine Anspielung auf die Wiesn, auf die Liebe als wahre Himmelsmacht oder einfach nur genderübergreifendes Kitschsymbol? Der Topf in der Mitte – Schatzkästchen oder Urne?
Der Abend „La mer sombre“ („Das dunkle Meer“), den Hausregisseurin Pinar Karabulut zum Spielzeitstart für den Werkraum der Münchner Kammerspiele eingerichtet hat, gibt von Beginn an Rätsel auf. Das erweist sich im Lauf der Karabulut-typisch knallig bunten Revue meist als Segen, mitunter allerdings auch als Fluch. Die queere Autorin und Fotokünstlerin Claude Cahun (1894-1954) verweigerte mit ihren surrealistischen Arbeiten gerne den schnellen Zugang und eine eindeutige Analyse. „Männlich? Weiblich? Das hängt von der Situation ab. Neutral ist das einzige Genre, das immer für uns passt.“ Insofern passt auch Karabuluts etwas vager Zugriff. Selbst wenn Cahuns Schriften manchmal sehr symbolistisch-verwunschen daherkommen – in ihren hellsichtigen Aussagen war sie immer glasklar. Das wird in „La mer sombre“ ausgerechnet durch Karabuluts sympathisch-originelle Ideen wie dem zur Schaumparty avancierenden Wannenbad buchstäblich verwässert.
Die Regisseurin hat aus verschiedenen Texten Cahuns wie „Ansichten und Visionen“ von 1919 oder „Heroinnen“ von 1925 eine komplex angelegte, emotionale Collage und Dreiecksgeschichte geformt. Tief taucht man hier in Cahuns Gedankenkosmos ein. Allerdings bricht Karabulut deren hoch emotionales Spiel der wechselnden Masken regelmäßig mit charmanten Einfällen auf, unterbricht lustvoll gerade die innigen Momente des Schauspiel-Trios. Gro Swantje Kohlhof, Thomas Hauser und Christian Löber spielen in wechselnden Rollen auf Aleksandra Pavlovićs Boudoir-ähnlich gehaltener Bühne diverse Geschlechter- und Beziehungskonstellationen durch. Dabei gehen sie recht schonungslos miteinander um und hauen sich manche Beleidigungen wie „Gott! Bist du hässlich!“ um die Ohren. Nur, um kurz darauf Kluges von sich zu geben wie „Der Mythos von Narziss ist überall“ oder „Es gibt zu viel von allem“.
Hauser, Kohlhof und Löber in ihren eng anliegenden, androgynen Kostümen bekommen mit ihrer umwerfenden Präsenz und ihrem augenzwinkernden Charisma die manchmal ganz schön spröden Versatzstücke rund um das Spiel mit Licht oder Schatten und Mann oder Frau absolut souverän in den Griff.
Nächste Vorstellungen
am 6., 17., 18. Oktober; Telefon 089/ 233 966 00.
Kohlhof, Löber und Hauser spielen mit starker Präsenz