Auf einen Drink mit Ben Becker

von Redaktion

INTERVIEW Der Schauspieler liest in München Joseph Conrads „Apokalypse“

„Cheers, Katja“, mit typischer Ben-Becker-Stimme zugeraunt. Der Mann hat hörbar schon so manches Glas geleert. Und weil er daraus keinen Hehl macht, lässt sich der 57-Jährige auf die Idee ein, sich nicht zum klassischen Interview zu treffen, sondern auf einen Drink an der Bar im Bayerischen Hof, wo er gerade zu Gast ist. Agenten anderer Schauspieler bekämen Schnappatmung: Alkohol im Interview? Wir sind doch nicht bei „Inas Nacht“! Was sollen die Leute denken? In solchen Kategorien denkt Ben Becker nicht. Das ewige Enfant Terrible der deutschen Kulturszene hält nichts von politischer Korrektheit. Am 11. Oktober liest der Schauspieler im Prinzregententheater aus Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ (Karten: 089/ 21 85 19 70). Ein Gespräch bei Pils und Wein über Weltuntergangsstimmung, Kapitalismus und die Macht der Kunst.

Sie haben Joseph Conrads Namen auf Ihren Arm tätowiert. Warum?

Er ist einfach ein großer Schriftsteller. Ich hab’ ihn mit 20 gelesen, wie ein Junge Abenteuerromane liest. Ich habe mich verliebt in Joseph Conrad. Und fand es cool, mir einen Literaten auf den Arm tätowieren zu lassen. Fand’ ich besser als AC/DC oder ABBA. Obwohl ich der weltgrößte ABBA-Fan war.

Das klingt wie eine Geschichte für sich…

Ich stehe auch auf Udo Jürgens. Wie dem auch sei. Erst später habe ich begriffen, wie kritisch und genau Conrad selbst in seinen Abenteuer- und Liebesromanen die Gesellschaft beobachtet und hinterfragt hat. Deswegen habe ich mich entschieden, ihn auf der Bühne zu lesen.

1899 hat Joseph Conrad „Herz der Finsternis“ geschrieben. Seither hat sich die Menschheit nicht zum Besseren verändert. Also die alte Frage: Kann Kunst etwas verändern?

Nein, nicht wirklich. Kunst kann nur Fragen stellen, Kunst kann etwas bewegen. Aber das ist auf der anderen Seite schon ganz, ganz viel.

Und kann so dann doch etwas verändern, im Kleinen? Etwa indem es – wie Ihr Udo Jürgens – einen ganz schnöde aufheitert…

Das kann Kunst auf jeden Fall. Und das bereitet mir Freude, andere mitzunehmen auf ’ne Reise. Auch wenn die nicht gemütlich ist. In diesem Fall ist es ja eine Flussfahrt mit Grauen. Aber die hat einen wahnsinnigen Sog und konfrontiert uns mit dem, was ist. Mit dem, was wir auch heute gern verdrängen würden.

Und meist verdrängen…

Stimmt, und zum Verdrängen gibt es ja Gott sei Dank montags Günther Jauch. Gucke ich gern übrigens. Das ist ja auch mal schön.

Ein bisschen Eskapismus.

Ein bisschen geht. Manchmal ist es mir ein bisschen zu viel. Da bin ich dann ganz froh, dass es mich gibt und meine Geschichten.

Ihre Rolle: uns aus der Komfortzone zu holen?

Ja, das würde ich so unterschreiben. Das mache ich mit großer Liebe, großem Spaß. Feinsinnig.

Woher kommt Ihr Sinn dafür?

Das muss irgendein Mitteilungsbedürfnis sein. Schon als Kind hab’ ich zu Hause die Theaterstücke meines Vaters frei nachgespielt. Immer war da dieser Drang: „Guck mal! Ich hab’ was gemalt, ich hab’ was geschrieben, ich hab’ was gemacht, wie findet ihr das?“ Das braucht Mut.

Auch heute noch?

Ja, natürlich. Man ist nervös, bevor man das Poesiealbum aufklappt und sagt: „Ich hab’ da gestern Nacht was ganz für mich allein geschrieben. Was hältst du davon?“ Das ist einem ja auch etwas peinlich. Insofern ist Lampenfieber voll da. Das katapultiert einen nach vorn. Zwingt einen, diesen einen Schritt zu gehen. Ich habe den bei meinem Vater oft beobachtet. Hab’ gesehen: Jetzt steht er hinter der Bühne – was passiert mit dem auf den Metern ins Rampenlicht, wie verändert der sich? Ein mutiger Schritt.

Sie müssen den Schritt auch wieder zurückgehen. Wie schwer fällt das? Gerade nach „Apokalypse“?

Na ja, ich bin ja niemand, der in der Vorbereitung einer solchen Rolle erst mal nackt Hühner abtastet oder sich in sich selbst verliert. Sinn der Sache ist, die Kontrolle zu bewahren. Es gibt so verrückte Mäuschen unter Schauspielern, die aus ihrer Rolle nicht wieder rauskommen. Aber ich kann doch nicht nachts wie ein Irrer durch den Bayerischen Hof toben, nur weil ich abends einen Psychopathen gespielt habe. Angeblich gab es einen Supermann-Darsteller, der vom Dach sprang, weil er glaubte, er könne fliegen. Das geht mir etwas zu weit. Wenn ich fertig bin mit „Apokalypse“, habe ich mich eineinhalb Stunden schwer konzentriert und dann ist auch gut. Irgendwann landet das Schiff im Hafen und ich gehe nach Hause.

Ich spüre auch ohne die Lesung Weltuntergangsgedanken.

Wer nicht? Da sind wir beide nicht alleine. Weil wir seit den Wohlstandsjahren in den Fünfzigern, was Krisen angeht, verwöhnt waren. Und nun fragt sich der Bäcker, ob er sich das Backen noch leisten kann. Das ist sehr bösartig und existenziell. Beschäftigt.

Was kann man tun? Was können wir lernen aus der „Apokalypse“?

Ich bin als Künstler nicht dafür da, Antworten zu geben. Das lassen Sie Herrn Habeck machen oder Herrn Hofreiter, die meinen ja, sie geben zu können. Wobei ich nicht weiß, warum die sich einbilden, das tun zu können. Was mir bei denen fehlt, ist die Sensibilität für die Fragen.

Wären Künstler die besseren Politiker?

Ja.

Helge Schneider als Bundeskanzler?

Das wäre großartig.

Weil Künstler empathischer sind, kreativer?

Ja, ich glaube, da wäre mehr möglich. Mehr Gerechtigkeit. Denn Helge Schneider hat ja seinen Beruf nicht angetreten, damit er einen großen Mercedes fährt. Das Problem ist, dass wir viele Menschen haben, die allein auf ihr eigenes Weiterkommen ausgerichtet sind. Ich drifte ab…

Sie dürfen driften.

Ich bin Kapitalismuskritiker. Das verbindet mich mit Conrad. Ich glaube nicht an diese Art von Zusammenleben.

Sondern?

Es gibt indianische Regeln, die sagen: Alles ist rund. Also man muss nicht wie John Wayne nach Amerika rüberkommen und alle Büffel erschießen, sondern die Indianer fanden: Wir brauchen einen Büffel und da können wir lange von leben. Ergibt Sinn, oder? Wie viel Quadratmeter will ich eigentlich bewohnen? Geht’s mir mit mehr wirklich besser? Man kann auch irgendwann sagen: Nein, das brauche ich nicht. Ich reise seit vielen Jahren nach Sri Lanka. Da habe ich eine befreundete Familie. Großmutter, Großpapa, Enkel und so weiter. Da ist man letztlich in einer Dritte-Welt-Familie zu Hause – und das geht auch. Da kommt eine Herzlichkeit, da ist man Part der Familie. Da brauche ich nicht Hui Buh, trallala.

Das wissen wir, trotzdem streben wir nach mehr.

Der Mensch ist eben ein bisschen doof. Gleichzeitig versteht er, was Sache ist. Deshalb muss ich bei „Apokalypse“ gar nicht so auf die Tube drücken. Was hat mein Vater immer gesagt? „Nur lesen, was dasteht.“ Das hab’ ich kapiert. Lesen, was dasteht, das reicht. Das ist anstrengend genug, da brauchen Sie nicht noch von Herrn Becker ’ne Backpfeife zu bekommen.

Die Leute hören auch ohne Showeffekte 90 Minuten gebannt zu?

Ich gebe mir Mühe. Und wenn einer unten anfängt mit einem Bonbonpapier rumzufummeln, dann…

… gibt es doch die Backpfeife.

Nein, so ist es nicht. Ich kann warten. (Grinst.) Das ist viel böser. Dann gucken 600 Leute auf den einen. Und dann nicke ich und lächle und sage: „Haben wir’s? Gut? Dann weiter.“ Und weil die Leute das wissen von mir, bringt keiner mehr Bonbons mit.

Das Gespräch führte Katja Kraft.

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