Doppelt hält besser

von Redaktion

INTERVIEW Alice und Ellen Kessler versteigern ihre Kostüme – und erinnern sich zurück an 70 Jahre Showgeschäft

Sie passen wirklich noch hinein. Eigentlich eine Frechheit. Als wir Alice und Ellen Kessler zum Interview in ihrem Haus in Grünwald treffen und vorsichtig fragen, ob sie nicht noch einmal – fürs Foto – in ihre Show-Kleider von einst hineinschlüpfen wollen, zieren sie sich etwas. Doch weil sie Profis sind, tun sie es dann doch. Und es passiert Magisches: Die beiden Ladys, die heuer 86 geworden sind, verwandeln sich in diesem Moment wieder in die Tänzerinnen vom Lido, die sie so viele Jahre über waren. Graziös wie eh und je wandeln sie durch den Garten, posieren für den Fotografen mit einer Körperspannung, von der manch 20-Jährige nur träumen kann. Vom 12. bis 30. Oktober werden mehr als 50 Bühnenoutfits der Kesslers aus den 1950er- bis 1990er-Jahren erstmals online über das Auktionshaus Neumeister versteigert. Der Erlös geht an die Betroffenen der Flutkatastrophe im Ahrtal. Eine Besichtigung im Auktionshaus ist möglich: Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr; Samstag, 15. Oktober, von 10 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung. Ein Gespräch mit Ellen und Alice Kessler über ihre Begegnungen mit Elvis und Sinatra – und andere Abenteuer aus 70 Jahren Showgeschäft.

Nun geben Sie Ihre vielen Kostüme ab. Wo lagerten die denn all die Jahre?

Alice: Die hingen überall herum. Ein paar im Keller, ein paar im begehbaren Kleiderschrank, ein paar auf dem Speicher.

Und sind top in Schuss. Wenn man sich die Kleider so anschaut – das war ganz schön freizügig für die damalige Zeit, oder?

Ellen: Ja, wir waren schon sehr ausgezogen – trotzdem waren die Kostüme immer geschmackvoll, nie vulgär. Das haben wir einem Italiener zu verdanken: Im Pariser Lido und später in den ersten Fernsehshows hat Folco unsere Kleider entworfen. Alice: Ein toller Kostümbildner, wunderbar! Er war auch menschlich so besonders. Wenn er etwas für uns designt hat, hat er drei Entwürfe gemacht und uns gefragt: Welcher gefällt euch am besten? So konnten wir immer zusammen etwas Passendes entwickeln. Viele Designer denken ja: „Ich bin der Größte, ich mache die tollsten Kostüme, da hat keiner mitzureden!“ Das war bei Folco nie der Fall. Ellen: Auch unser späterer Kostümbildner, Corrado Colabucci. Wissen Sie, die Italiener, die haben ein Händchen dafür. Alice: Die haben einfach diesen Schick. Auch was Make-up angeht. Die lieben die Frauen und wissen, wie sie sie inszenieren müssen. Ellen: Wir sind dort ja öfter in Talkshows. Die machen in Italien auch gutes Licht für die Frauen. In Deutschland hingegen ist das teilweise leider schrecklich lieblos. Alice: In den deutschen Talkshows haben sie ein Licht für alle: Ob da ein Tier, ein junger Mann oder eine alte Frau sitzt – das Licht ist immer dasselbe. Und es ist manchmal grausam, dann wird mit der Kamera ganz nah ans Gesicht gegangen. Ellen: Wir möchten eigentlich keine Talkshows mehr besuchen. Nur damit die ranzoomen und sagen können: Ah, die ist auch älter geworden…

Früher waren Sie in vielen Shows. Auch in Italien, den USA. Neben zahlreichen Promi-Größen. Wie war Sinatra? Wie war Elvis?

Ellen: Also Elvis war ein verklemmter, gehemmter junger Mann. Alice: Keiner glaubte es uns. Wenn man ihn so sah auf der Bühne, wirkte der ja ganz anders. Ich vermute, er hatte sich erhofft, dass wir für ihn schwärmen und sagen: „Oh, Gott, Elvis!“ Doch so waren wir gar nicht. Wir waren völlig cool. Das hat ihn verunsichert.

Und Sinatra?

Alice: Natürlich ein toller Profi. Er war sehr nett zu uns. Wissen Sie auch, warum? Wir haben ihn nie bedrängt, wir wollten nie was von ihm. Wir haben sie ja beobachtet, die Menschen um ihn herum: „Oh, Frankie!“ Alle immer ihm hinterher. Das hat ihn genervt. Wir haben uns völlig zurückgehalten.

Hat Ihnen geholfen, dass Sie zu zweit waren?

Beide: Oh ja, sehr!

Man ist selbstbewusster?

Alice: Man ist stärker. Und kann Dinge machen, die man allein nicht machen würde. Nach Australien gehen und wochenlang auftreten etwa. Man ist stark zu zweit.

Haben Sie viel Konkurrenzkampf mit anderen Künstlerinnen erlebt?

Ellen: Nein, ich glaube dadurch, dass wir Zwillinge waren, hatten wir irgendwie nie Konkurrenz. Alice: Wir waren was Besonderes, was anderes. Wir waren ja keine Frau allein, die hätte gefährlich werden können.

Aber nervt man sich nicht auch mal tierisch? Wenn ich mir vorstelle, ich hätte immer meine Schwester an meiner Seite…

Beide lachen. Ellen: Wir kennen es ja gar nicht anders. Nein, Gott sei Dank sind wir uns nie auf die Nerven gegangen.

Das Zwillings-Dasein war Ihr Alleinstellungsmerkmal. Dazu gehört auch, dass Sie die gleichen Maße haben. War es schwierig, immer das gleiche Gewicht zu halten?

Ellen: Das war überhaupt kein Problem. Bei eineiigen Zwillingen stimmen die Gene halt in jeder Beziehung. Alice: Wir haben immer ganz normal gelebt, gegessen und getrunken. Wir haben nicht Diät gehalten. Und da ist nie was passiert, dass eine auseinandergegangen ist und die andere nicht. (Lacht.)

Vermutlich half auch das viele Tanzen, damals am Lido. Wie war Paris für Sie?

Ellen: Schön! Man war unbefangen, man hatte Spaß, man war jung. Wir haben hart gearbeitet, aber wir haben das gar nicht als bedrückend empfunden. Es war einfach interessant und toll. Alice: Es war wirklich harte Arbeit. Aber wir kannten es nicht anders. Wir waren als Kinder in der Ballettschule, dann kam das Engagement in Paris ohne freien Tag in der Woche. Wir haben jeden Tag zwei Vorstellungen gehabt. Es war normal für uns.

Sind Sie ehrgeizig?

Ellen: Sagen wir so: nicht verbissen ehrgeizig. Alice: Unser Ehrgeiz war immer, das, was wir machen mussten, perfekt zu machen. Ellen: Wir hatten gedacht, mit 30 wird unsere Karriere vorbei sein. Doch es haben sich immer neue Türen geöffnet. So ging es weiter und weiter.

Sie dachten, mit 30 sei Ihre Karriere zu Ende?

Alice: Ja, wenn Sie 18 sind, denken Sie, 30 sei uralt. In den Fünfzigerjahren war eine Frau mit 40 ein altes Eisen. So ändern sich die Zeiten.

Konnten Sie als so junge Frauen denn das Leben in Paris auch genießen?

Beide: Oh ja! Ellen: Nach den Vorstellungen, ja, da hatten wir so eine Gruppe sehr netter Freunde. Das waren Studenten, die waren nicht vom Lido. Eigentlich waren die alle schwul. Das war natürlich toll, denn die wollten nichts von uns. Haben uns aber ins Herz geschlossen und Paris gezeigt. Nachts sind wir gemeinsam losgezogen: Montparnasse, Pigalle, Montmartre…

Schon in Paris haben Sie viele Stars kennengelernt.

Ellen: Ja, die ganzen Hollywood-Stars kamen ins Lido. Elvis kam jedes Wochenende. Da hat man gesagt: Heute tanze ich nur für den. Damit man wieder einen Ansporn hat. Denn wenn man jeden Abend das Gleiche macht, wird das maschinell. Also hieß es vor der Vorstellung: „Heute tanze ich für Burt Lancaster“ oder „Heute tanze ich für Hemingway“. Alice: Die Windsors waren oft da. Wenn Sie jemanden ausführen wollten in Paris, ging man ins Lido, das war das Etablissement.

Haben Sie Hemingway kennengelernt?

Ellen: Nein, aber das ist eine schöne Anekdote. Die Bühne war auf Höhe der Tische. Wenn die Revue losging, mussten wir unsere Hände nach vorne recken. Da hat Hemingway die Hand einer Tänzerin genommen und herzlich gegrüßt: „Good Evening!“ Alice: John Wayne wollte uns mal einladen. Hat aber einen Sekretär geschickt in der Pause: „John Wayne möchte Sie nach der Show gern zum Essen einladen.“ Da waren wir doch so frech und haben gesagt: „Dann muss er schon persönlich vorsprechen.“

Hat er gemacht?

Alice: Hat er nicht gemacht – und dann haben wir es bereut. (Lacht.)

Sie waren immer ein bisschen frech?

Alice: Ja. Ich kann ja sowieso nicht diese Teenager verstehen, die beim Anblick irgendwelcher Stars kreischen und in Ohnmacht fallen. Was ist das für eine Hysterie? So waren wir nie. Ellen: Wir haben auch nie Autogramme verlangt von den Menschen, die wir in all den Jahren kennengelernt haben. Alice: Auch was Fotos angeht: Die haben wir nur mit denjenigen gemacht, die mit uns gearbeitet haben. Mit Elvis haben wir kein Foto, eben weil wir nicht mit ihm gearbeitet haben. Aber ich muss zugeben: Wenn wir ausgegangen sind mit ihm, sah er schon toll aus.

Aber das hätten Sie ihm nie gesagt.

Ellen: Nee, das hätten wir nie gesagt!

Das Gespräch führte Katja Kraft.

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