Zweiter Frühling mit dritten Zähnen

von Redaktion

INTERVIEW Kabarettistin Luise Kinseher über ihr neues Programm, das morgen Premiere hat

Acht Jahre lang las Luise Kinseher in ihrer Rolle als Mama Bavaria den Politikern auf dem Nockherberg die Leviten. Dann verabschiedete sich die Schauspielerin und Kabarettistin 2018 mit dem Programm „Mamma Mia Bavaria“ von ihrer Figur. Morgen feiert die 53-Jährige im Münchner Lustspielhaus mit ihrem neuen Programm „Wände streichen. Segel setzen“ Premiere. Wir trafen Kinseher zum Gespräch.

Wie wichtig ist Ihnen der schauspielerische Aspekt beim Kabarett?

Das ist für mich ein ganz elementarer Bestandteil. Ich komme ja vom Volkstheater. Das Theater spielen, Emotionen ausspielen – das ist sehr wichtig für mich.

Sie spielen ja gerne verschiedene Figuren, auch im neuen Programm?

Ja, es kommt wieder Helga Frese vor. Die hat sich aber sehr verändert durch die Pandemie. Die ist aufgeblüht, ihr Heinz ist gestorben an Corona, aber sie braucht kein Mitleid und sagt: „Seit Heinz tot ist, bleibt mehr für mich.“ Helga erlebt den zweiten Frühling, der kommt mit dritten Zähnen. Auch die Mary from Bavary hat sich verändert. Die ist durch Corona raus aus der Komfortzone und hat das Genre gewechselt – von der Rockqueen zur Königin der Nacht.

Welche dieser Figuren ist Ihnen am nächsten?

Na ja, ich habe angefangen mit sieben oder acht Figuren. Mittlerweile sind ja nur noch die beiden geblieben, und ich selbst bin in der Mitte zwischen lustvoll ausschweifendem Leben und der Vernunft und Askese.

Eine Zeit lang gab es ja noch die Mama Bavaria…

Für den Nockherberg war die natürlich super. Und ich habe ja dann noch ein Programm mit der Figur gemacht. Die Zeit ist aber vorbei. Jetzt gibt es etwas Neues.

Sind Sie froh, dass die Zeit vorbei ist?

Nein, ich habe das ja freiwillig gemacht. Die Mama Bavaria ist schon sehr nah an mir dran. Ich bin zwar untrennbar mit der Figur verbunden, aber es ist nicht so, dass die Leute jetzt immer fragen, wo denn die Mama sei.

Sie waren die erste Frau auf dem Nockherberg.

Da gab es einige, die das nicht gut fanden. Das war 2011, inzwischen hat sich einiges verändert. Aber damals war das für manche ganz schlimm, und ich habe heftige E-Mails bekommen. Ziemlich unter der Gürtellinie. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber es heißt ja immer: Bei Gegenwind lächeln. Ich habe mich entgegen aller Prognosen acht Jahre gehalten – und bin aus eigenen Stücken gegangen.

Der Titel Ihres neuen Programms lautet „Wände streichen. Segel setzen“. Das könnte verstanden werden wie „Schwamm drüber und weg“ …

Ganz im Gegenteil! Das ist schon doppeldeutig. Wände streichen ist wie Wände abreißen, die zwischen uns sind. Und dann eben neue Segel setzen. Es ist eigentlich ein sehr hoffnungsvolles Programm. Grundthema ist der Klimawandel und unser Verhältnis zur Natur. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass – abgesehen vom Krieg, der Inflation und der Energiekrise – der Klimawandel das große Problem der Zukunft sein wird. Der Abend dreht sich allerdings nicht um die Apokalypse, sondern um die Hoffnung, dass wir das hinkriegen. Dazu habe ich ein metaphorisches Programm geschrieben. Es geht um einen Riss im Parkett, der sich unterm Teppich zum riesigen Loch ausgewachsen hat. Mittlerweile ist daraus ein Teich geworden – und das Wohnzimmer ist ein Naturparadies. Das ist die Rahmengeschichte.

Entstand das Programm unter dem Eindruck von Corona?

Absolut. Das Programm geht mit den Lehren aus Corona um. Nicht nur Mary und Helga haben sich verändert, sondern auch Luise Kinseher. Ich bin zwar recht gut etabliert, aber auch mich hat Corona betroffen. Aus der Not aber eine Tugend zu machen und neue Wege der Kreativität zu suchen, diese Aspekte haben sich natürlich auf das Programm ausgewirkt. Wir sollen nicht aufgeben, sondern das Loch ansehen, also unser Problem anschauen, und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Sind die Menschen durch die Pandemie bewusster geworden?

Die Chancen waren da, aber vielleicht hat sie nicht jeder genutzt. Zeiten des Wandels regen schon dazu an, neu zu denken, die Wände zu streichen, also einzureißen, und sich umzuschauen, was es sonst noch gibt. Das bedeutet natürlich Arbeit, und ich denke, es ist auch Aufgabe der Künstler, sich solche Gedanken zu machen und einem Publikum, das hoffentlich wieder ins Theater geht, anzubieten.

Das Gespräch führte Antonio Seidemann.

Premiere

von „Wände streichen. Segel setzen“ ist morgen, 20 Uhr, im Münchner Lustspielhaus.

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