„Fast eine neue Kunstform“

von Redaktion

Dirigent Kevin John Edusei über seine Kino-Übertragung von „La bohème“ aus London

VON TOBIAS HELL

Das Münchner Publikum kennt Kevin John Edusei aus seinen Chefzeiten bei den hiesigen Symphonikern vor allem als Konzertdirigenten. Als Mann für Beethoven oder Mendelssohn, der das Repertoire seines Orchesters aber auch um Raritäten erweiterte. Der Operndirigent Edusei lässt sich am morgigen Donnerstag in Münchner Kinos erleben, die sein Debüt am Royal Opera House ab 20.15 Uhr übertragen.

Auf dem Programm steht Puccinis „La bohème“ in einer Regie von Richard Jones, die nach 41 Jahren die klassische Produktion aus dem Fundus ersetzte, der die Londoner ähnlich nachtrauerten wie die Münchner ihrem alten „Rosenkavalier“. „Es ist verständlich, dass bei so lieb gewonnenen Produktionen ein gewisser Abschiedsschmerz mitschwingt“, räumt Edusei ein. „Aber ich bin auch mit der Sicht von Jones sehr glücklich. Obwohl sie optisch im 19. Jahrhundert verankert ist, hat sie eine gewisse Zeitlosigkeit und wirkt sehr lebendig. Ich habe selten erlebt, dass ein Publikum so mitgeht.“ Und um die Klassiker frisch zu halten, brauche es eben hin und wieder neue szenische Impulse.

Dass sich in Eduseis Kalender derzeit trotzdem mehr symphonische Musik findet, hat in erster Linie praktische Gründe: weil Musiktheater viel Zeit in Anspruch nimmt. Und dies ist bei einer internationalen Karriere nicht leicht zu koordinieren. „Ich habe Oper immer als das Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte gesehen und mag die Auseinandersetzung mit dem Regisseur. Wenn man sich verteidigen und um Ideen ringen muss. So entsteht etwas, das man allein nicht erreicht hätte.“

Oper im Kino versteht Edusei vor allem als probaten Weg, um Schwellenängste abzubauen. „Ich hoffe, dass wir damit fürs Live-Erlebnis begeistern. Denn zum Theater gehört für mich auch der Geruch eines alten Vorhangs, das Knarzen der Bühnenbretter oder die Plüschsessel. Aber natürlich freue ich mich, dass diese Streams so erfolgreich sind. Das Royal Opera House betreibt da wirklich extremen Aufwand.“ So wurde etwa bereits eine komplette „Bohème“-Vorstellung vom Übertragungsteam „trocken“ produziert, um später fürs Kino die optimalen Bilder zu finden. „Wenn man das so gewissenhaft macht, arbeitet man fast schon an einer neuen Kunstform und überträgt das Medium in ein anderes Genre.“

Münchner Vorstellungen

im Filmstudio, Kino Solln und im Neuen Rex.

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