Ein reicher Schatz aus mehr als 900 Jahren Poesie

von Redaktion

Eine Anthologie feiert spanische und hispanoamerikanische Lyrik

VON ANDREAS PUFF-TROJAN

Es ist eine literarische Höchstleistung: Die Anthologie „Spanische und hispanoamerikanische Lyrik“ in vier Bänden umfasst 900 Jahre poetischer Kultur in spanischer Sprache, dokumentiert auf mehr als 2500 Seiten, in 800 Gedichten von 200 Autorinnen und Autoren aus 20 Ländern. 30 Übersetzerinnen und Übersetzer waren hier am Werk. Es gibt Autoren, die hierzulande bekannt sind, etwa der Spanier Federico García Lorca oder der Chilene Pablo Neruda. Doch die meisten Texte und ihre Verfasser kennt man bei uns nicht. Zwei Drittel der Texte sind Neu-, ja sogar Erstübersetzungen. Das heißt aber auch: Ein überreicher Schatz an Poesie kann hier gehoben werden.

Vergoldet wird das Ganze nicht nur durch äußerst umsichtige Kommentare zu den Autorinnen und Autoren, sondern auch durch Nachworte, die die einzelnen Epochen beschreiben und uns damit die Geschichte Spaniens und des lateinamerikanischen Raums näherbringen. Auch wer kein Spanisch kann, wird den Klang der Gedichte im Original schätzen.

So ging es etwa im spanischen Mittelalter poetisch sinnlich zu. Der Marqués de Santillana besang die „Venus in Ekstase“ und gestand: Ich „brenne lichterloh, doch voll Behagen“. Dem stand Rodrigo de Reinosa in nichts nach. Er verfasste ein „Damen-Vaterunser“: „Herr im Himmel, dem wir grollen,/ weil die Damen du geschaffen:/ gib uns des Verstandes Waffen,/ dass wir sie vom Hals uns schaffen,/ weil wir dich nur nennen wollen/ Pater Noster“. Es ist ein großer Vorteil dieser Anthologie, dass die Übersetzungen versuchen, Reim, Versmaß und Rhythmus des Originals beizubehalten.

Das „Siglo de Oro“, Spaniens goldenes Zeitalter, stand im Zeichen des Barock. Unter Philippe II. wählten die spanischen Habsburger Madrid als Residenz, eine Hofkultur prägte sich aus. Luis de Góngora machte das Sonett hoffähig. Er beherrschte das Erhabene ebenso wie volkstümliche Versrhythmik, die Satire und Obszönitäten. Sein Gegenspieler war Lope de Vega – ein Autor, der unzählige Dramen und Gedichte verfasste. Warum dies so war, erklärt der Kommentar: „Um Frauen, Mätressen und Kinder zu versorgen (manche Namen kennen wir nur aus den Akten der Vaterschaftsklagen), musste Lope pausenlos produzieren.“ Man sieht: Nicht nur in der Poesie ging es deftig heftig zu. Francisco de Quevedo schrieb gar ein Hohelied auf den „Furz“ („Arschauges Stimme“). Doch es gibt auch wunderbare Liebeslieder, etwa von María de Zayas. Liebe ist für sie „Lüsternheit“ – und zugleich „Pfand der Hoffnung“. Diese vier Bände bieten also das pralle Leben – als Lyrik.

C.H. Beck Stiftung (Hg.):

„Spanische und hispanoamerikanische Lyrik“. C.H. Beck, München, 2539 Seiten; 148 Euro.

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