Im Kaninchenbau aus Manipulation und Propaganda

von Redaktion

Ray Loriga erzählt in „Kapitulation“ von der Selbstbehauptung

VON ANTONIO SEIDEMANN

Es herrscht Krieg, und die Menschen sollen ihre Häuser verlassen und anzünden, damit der Feind nur Asche vorfindet. So heißt es zumindest. Und sie sollen in die durchsichtige Stadt gebracht werden, wo für alle gesorgt wird. So heißt es. „Kapitulation“ („Rendición“ im Original) ist der Titel des Romans, für den der Spanier Ray Loriga 2017 den begehrten Alfaguara-Preis erhielt. Nun liegt das Buch in der Übersetzung von Alexander Dobler vor.

In seiner spanischen Heimat gilt Loriga, Autor, Regisseur und Drehbuchschreiber (etwa für Pedro Almodóvar und Carlos Saura), als Rocker unter den Schriftstellern. Das liegt weniger an seiner Augenklappe, die kein Accessoire ist (vielmehr kostete ein Gehirntumor den 55-Jährigen das rechte Auge), als vielmehr an der Tatsache, dass sich Loriga mit dem Roman „Héroes“ (Helden) den Titel eines David-Bowie-Albums lieh, um von einem Mann zu erzählen, der sich mit seinen Lieblingsalben zurückzieht und in einer fiktiven Welt mit Bob Dylan und Co. untertaucht.

Zu Beginn von „Kapitulation“ zitiert der Autor den Rock-’n’-Roller Eddie Cochran („Summertime Blues“): „Ich hasse Kaninchen.“ Nicht zu Unrecht, denn man folgt der Geschichte wie einst Lewis Carrols Alice dem weißen Kaninchen ins Erdloch. Der anonyme Erzähler ist ein einfacher Mann, der eine viel gebildetere Frau geheiratet hat. In der durchsichtigen Stadt, in die sie gebracht werden, nachdem Haus und Hof in Flammen aufgingen, ist tatsächlich alles durchschaubar. Man sieht den Nachbarn beim Duschen und beim Verrichten der Notdurft zu, beim Beischlaf, beim Frühstück, beim Arbeiten, beim Sport. Die Welt, in die uns Loriga führt, hat die kafkaeske Logik eines Albtraums, der man sich nicht entziehen kann. Sein Held will eigentlich gar nicht rebellieren, aber sein bisweilen schlichtes Gemüt eckt eben in der scheinbar glänzenden Stadt einfach an, während seine Frau längst im Propaganda- und Drogensumpf einer unsichtbaren Regierung untergegangen ist.

Geschickt jubelt uns Ray Loriga hier einige hässliche Tatsachen unserer Gesellschaft unter: „Fake News“, die trügerische Offenheit der Sozialen Netzwerke, Korruption, Propaganda, wechselnde Feindbilder – zuletzt stirbt in „Kapitulation“ sogar die vermeintliche Realität.

Im Original bedient sich der Autor gerne langer Sätze, die auch mal fast über einen Absatz gehen. Allerdings wurden sie für die deutsche Ausgabe meist gekürzt und direkter formuliert. Das ändert zwar ein wenig die albtraumhafte Stimmung, ist aber in sich stimmig.

Ray Loriga:

„Kapitulation“. Aus dem Spanischen von Alexander Dobler. Culturbooks, Hamburg, 200 Seiten; 24 Euro.

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