Dem unbekannten Angestellte des US-Verlags W&N, dem die Aufgabe zufiel, den Waschzettel zu diesem Buch zu verfassen, gebührt Respekt. Nach der Lektüre von 400 Seiten erratischer Ausführungen, die eher, nun ja, assoziativ verbunden sind und nirgendwo hinführen, fiel dem mutmaßlich Verzweifelten ein großartiger Satz ein, in dem alles drinsteckt, was man zu diesem Buch sagen kann: „Ein einzigartiger Cocktail aus persönlichen Erinnerungen, Kulturkritik und Hollywood-Geschichte“.
Das klingt erst mal vielversprechend. Schnell stellt sich bei der Lektüre heraus: Das klingt wie ein Lob, muss aber nicht so gemeint sein. Denn was Regisseur Quentin Tarantino in seinem ersten nicht-fiktionalen Buch da präsentiert, sind Anekdoten aus dem Leben eines jungen Kino-Nerds im Verbund mit Dingen, die er offenkundig immer schon mal aufschreiben wollte, und einer Liste von Filmen, die er toll findet.
Wer sich nun auf die Spur macht herauszufinden, wie Tarantino das dramaturgisch nutzt, um alles zum schlüssigen Ganzen zu formen, sucht vergeblich. Tarantino erzählt einfach anfangs von seiner coolen Jugend (so empfand er das jedenfalls), als seine Mutter ihn mit wechselnden Freunden in nicht jugendfreie Filme mitnahm. Dann beginnt er, Filme aus jener Zeit aufzuzählen, die ihn beeindruckt haben, und zwischendrin gibt er reichlich unmotiviert seinen Senf zu all jenem ab, was er nicht mag. Allen Ernstes stellt er Bestenlisten auf und streut Gespräche mit Filmschaffenden wie Walter Hill oder Robert De Niro ein, die erkennbar nur auftauchen, um zu zeigen, mit welchen Größen Tarantino über Kino fachsimpelt.
Er labert (Pardon, es fällt einem kein freundlicheres Wort ein) ohne Sinn und Verstand – so wie es seine Filmfiguren tun, nur dass die gewissen Witz entwickeln, beim geneigten Zuschauer jedenfalls. In einem Buch, das sich der großen Liebe Tarantinos, dem Kino, widmet, stellt sich da leider nichts ein, was auch nur annähernd an Unterhaltung herankommt.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist Tarantinos Herangehensweise die eines überdrehten Teenagers, der im Schulhof apodiktisch erklärt, wer in und wer out ist. Was okay ist, wenn man ein Teenager auf einem Schulhof ist und nicht ein arrivierter Regisseur, der auf die 60 zugeht. Zum anderen ist da dieser völlig undisziplinierte Hang zum Schwadronieren, der sich womöglich aus dem Gefühl der eigenen Bedeutsamkeit speist – als würde man der Nachwelt mit jedem Satz ein Vermächtnis hinterlassen.
Erschwerend kommt die zwanghaft vulgäre Ausdrucksweise hinzu. Drittens, und das ist das wahre Manko: Es fehlt das, was ständig beschworen wird, nämlich die bedingungslose Liebe zum Kino. Selbst bei den Filmen, die Gnade vor den Augen Tarantinos finden (allesamt aus der Zeit nach 1960), entdeckt er Haare in der Suppe oder, viel schlimmer, ergeht sich seitenweise in Mutmaßungen, wie ein Film ausgesehen hätte, wenn das Drehbuch nicht verändert worden wäre oder ein anderer inszeniert hätte.
Die Attitüde, Kinohelden aus der goldenen Ära Hollywoods wie Kirk Douglas oder Henry Fonda als minderbemittelt abzutun und Filmkünstler wie François Truffaut zu Nichtskönnern zu erklären, muss man nicht mögen. Immerhin: Wenn Tarantino den Graben in der US-Gesellschaft anhand des Kinos erklärt (Clint Eastwood versus Steve McQueen), ist das smart, ebenso wie seine Ausführungen zum tief verwurzelten Rassismus auch in Hollywood. Wer das Buch lesen soll, bleibt unklar. Als Einführung in die Geschichte des „New Hollywood“ ist es zu detailverliebt und zu wenig erklärend. Wer hingegen weiß, um wen es sich bei Leuten wie Peter Bogdanovich oder Paul Schrader handelt, dem sagt das Buch nicht viel Neues.
Zum Schluss schweift Tarantino unvermittelt zu einem afroamerikanischen Freund der Familie ab, mit dem er viel ins Kino ging. Allerdings nur, um dann doch wieder über sich selbst zu schreiben: „Mein Traum von einem heldenhaften schwarzen Cowboy, Django Unchained, wurde nicht nur gelesen, er wurde – von mir selbst – zum Welterfolg gemacht. Zu einem Welterfolg, der dazu führte, dass ich den Academy Award für das beste Originaldrehbuch gewann.“ Glückwunsch.
Quentin Tarantino:
„Cinema Speculation“. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 400 Seiten; 26 Euro.
Schwadronieren wie seine Filmfiguren
Kirk Douglas oder Henry Fonda werden geschmäht