Jazzkonzert des Jahres

von Redaktion

Mark Turner in der Münchner Unterfahrt

VON REINHOLD UNGER

Melissa Aldana hat ihren Tenorsaxofon-Kollegen Mark Turner den „Coltrane unserer Generation“ genannt. Will sagen: Er ist die stilbildende Ikone, an der sich die Jüngeren orientieren. Und tatsächlich hat Turner mit dem Gastspiel seines Quartetts in der Unterfahrt spät seinen Hut in den Ring geworfen für den inoffiziellen Titel „Münchner Jazzkonzert des Jahres“.

Turners oft sehr elaborierte, unorthodoxe Themen, vorgetragen mal im Unisono, mal in kontrapunktischer Linienführung mit Trompeter Jason Palmer, sind nie bloße Improvisationssprungbretter. Vielmehr schaffen sie Rahmungen, die den Solisten durch das Fehlen eines Harmonie-Instruments viel Freiheit in der Ausgestaltung lassen, ihnen andererseits aber sanfte Handlungsanleitungen für zwar unkonventionelle, aber nicht undisziplinierte Fantasieflüge vorgeben.

Disziplin und Freiheit, vertrautes Jazz-Idiom und gleichzeitig weitgehend klischeefreie Überschreibung traditioneller Muster: Es ist das immer wieder neu gelingende Spiel mit Kontrasten, das die Faszination dieses Quartetts mit den auf Ohrenhöhe agierenden Joe Martin (Bass) und Jonathan Pinson (Schlagzeug) ausmacht. Hier der bei aller Individualität der Phrasierung mit bisweilen großen Intervallen stets eine coole, kontrollierte Eleganz ausstrahlende Turner, dort der in seiner technischen Brillanz expressiver mit dem Feuer spielende Palmer.

Sie umspielen sich, dialogisieren auch in direktem Ruf-und-Antwort-Spiel. Dazu in Pinson ein agiler, dynamischer Schlagzeuger, der trotz seiner Jugend ein Lehrbuch „100 Arten, einen Viervierteltakt immer wieder anders klingen zu lassen“ schreiben könnte. Vieles erinnert an Bekanntes, aber es sind nur Reminiszenzen: So spielen kann diesen in seiner unaufgeregten Eigenständigkeit erfrischenden Gegenwartsjazz nur das Mark Turner Quartett.

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