Kopfüber ins Glück

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Der Cirque du Soleil gastiert mit „Crystal“ in der Münchner Olympiahalle

VON KATRIN BASARAN

Kopf einziehen! Oder besser noch: Den Schneeball fangen und zielgenau zurückwerfen. Mit einer lustigen Schneeballschlacht bei Vogelgezwitscher und Musik erwärmt der Clown des Cirque du Soleil das eintreffende Publikum schon einmal für das, was da in der Olympiahalle gleich beginnen soll: Die neue Show „Crystal“, ein ebenso poetisches wie akrobatisches Meisterstück auf Kufen, das am Donnerstag München-Premiere feierte.

Erstmals verbindet der kanadische Weltklasse-Zirkus Artistik mit rasantem Eiskunstlauf, alles eingebettet in eine zauberhafte Geschichte: Sie erzählt vom Mädchen Crystal. Familie und Mitschüler finden den verträumten Teenager reichlich seltsam. Statt wie Gleichaltrige zu toben, zu flirten und zu kichern, ist Crystal lieber für sich, zeichnet oder liest. „Ich gehöre nicht hierher, ich möchte in einem Buch leben“, hört man sie sagen, bevor sie ihrem einengenden Zuhause auf der Eisfläche eines Sees zu entfliehen versucht. Dort bricht sie ein – und landet in einer spiegelverkehrten Welt, in der sie auf ihr deutlich selbstbewussteres Ich trifft. Spiegel-Crystal schenkt dem Mädchen einen magischen Stift, mit dessen Hilfe es sich seine Welt neu erfinden kann.

Allein diese Story, ausgedacht vom künstlerischen Leiter des Cirque du Soleil, Robert Tannion (wir berichteten), bietet genügend Raum für Szenen, welche die fantasievoll kostümierten Trapezkünstler, Stangen- und Seilakrobaten, Jongleure, Musiker und Clowns in Szene setzen. Durch den Eislauf kommt noch eine neue Dimension hinzu. Sie verleiht dem Geschehen ein enormes Tempo. Und birgt durch die scharfen Kufen für die Künstler, die bewundernswert sicher auf ihren Schlittschuhen gleiten, ein zusätzliches Risiko.

Kein Wunder, dass das Publikum von einem Raunen ins nächste verfällt. Ja, hier klappt die sprichwörtliche Kinnlade ständig nach unten, etwa wenn Eishockeyspieler sich von teils fast vertikal verlaufenden Rampen stürzen, um anschließend aberwitzige Salti und Schrauben zu vollführen. Oder wenn sich Crystal mit einem Luftakrobaten zu abenteuerlichen Schwüngen verbindet, zu fallen droht und doch zentimeterknapp vor der eisigen Oberfläche gefangen wird. Man ahnt, nein spürt, dass das Vertrauen der Mitglieder des rund 40-köpfigen Ensembles zueinander riesig sein muss. Denn wann immer man glaubt, jetzt ist der Höhepunkt artistischen Könnens erreicht, setzt die nächste Szene noch eins drauf. Fast schon eine Wohltat ist es, als die Zuschauer in eine 20-minütige Pause entlassen werden – nicht nur das Eis muss geglättet werden, das Adrenalin, das sich allein beim Zuschauen der halsbrecherischen Nummern ansammelt, muss dringend runter.

Das Eis erlaubt auch sehr sinnliche Momente. Wenn Crystal sich in einen Ballsaal träumt, mit ihrem Spiegel-Ich interagiert oder später in ihre eigene Welt zurückkehrt, ist es Zeit für Gleiten, große Gesten, Pirouetten, Hebefiguren oder auch Sprünge und Todesspiralen. Die Eistänzer – hier sei nochmals betont, dass es sich quasi um Laien auf diesem Terrain handelt – finden sich und beeindrucken durch enorme Synchronität. An dieser Stelle gilt das Kompliment auch der Musikauswahl, die von eigenen Beat- und Rock-lastigen Stücken über selbstproduzierte intensive Versionen von Sias „Chandelier“ bis zu Beyoncés „Halo“ reicht und das Geschehen abrundet.

Übrigens kommt auch der Witz nicht zu kurz. Immer wieder ist auch der eingangs erwähnte Clown zu erleben – sein traumtänzerisches Duett mit einer Stehlampe ist ein ebenso berührender wie komischer Höhepunkt dieser bislang einmaligen Show. Standing Ovations am Ende.

Weitere Vorstellungen

an diesem Samstag um 16 und 20 Uhr sowie am Sonntag um 13 und 17 Uhr; Restkarten gibt es unter www.muenchenticket.de sowie an der Tageskasse. Zusätzlich gastiert der Cirque du Soleil von 22. Februar bis 26. Februar 2023 in Stuttgart.

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