Symphonie des Grauens

von Redaktion

Péter Nádas:„Schauergeschichten“

VON ANDREAS PUFF-TROJAN

Péter Nadás’ neuer Roman „Schauergeschichten“ spielt in Ungarn der Sechzigerjahre. János Kádár regiert das Land mit weniger Härte, als es in anderen kommunistischen Ländern der Fall ist – „Gulaschkommunismus“ lautet der Fachbegriff. Und wie im Gulasch – ungarisch „Pörkölt“ – Fleischsorten, Zwiebeln, Paprika köchelnd ineinanderfließen, sind es im Buch die Donau und ihre Flusslandschaft, um die herum das Geschehen sich schlängelt, aufquillt, Untiefen bildet. Der Tod wartet schon, dass jemand vom Strom mitgerissen wird, in einen Strudel gerät.

Ort des Geschehens ist ein kleines Dorf. Auch hier sind die gesellschaftlichen Normen fließend. Da ist die alte Teres Vàranagy. Aus ungarischem Kleinadel stammend, wurde sie wegen ihres unehelichen Kindes verstoßen. Nun schuftet sie als Kleinbäuerin im Gemüsegarten und im Schweinekoben – und flucht vor sich hin. Ihr Sohn ist in der Stadt Konditor geworden, meidet seine stinkend-keifende Mutter. Bei Teres arbeitet das stämmige Mädchen Rosa als Tagelöhnerin. Nicht ganz richtig im Kopf treibt sie es mit jedem, der will. Unter ihrem Kleid trägt sie kein Höschen – auch nicht, wenn sie ihre Tage hat.

Eine „Zwergin“ wiederum hat einen unehelichen Sohn, Imre, der so groß und stark ist wie weiland Siegfried. Im Dorf kann sich das keiner erklären. Doch Imre hat einen bösen, dumpf sadistischen Charakter, ihm ist alles zuzutrauen – auch Mord. Für die schöne Piroschka Mirák, die an der Universität forensische Psychiatrie studiert, ist Imre ein klarer Fall – und doch fühlt sie sich von ihm sexuell angezogen. Pater Jonás wird an Imre einen Exorzismus durchführen – mit mäßigem Erfolg. Und der katholische Pfarrer Tölösy kämpft gemeinsam mit dem Lehrer Hamza gegen den exzessiven Aberglauben an – vergeblich. In der zweiten Hälfte des Romans treten dann auch Wiedergänger auf. Der Tod, das dunkle Metaphysische ist hier also stets präsent.

In „Schauergeschichten“ bietet Péter Nádas seiner Leserschaft aber alles andere als klassischen Grusel. Sein Dorf am Donau-Ufer ist eine Modellwelt im Kleinen. Ungarischer Adel, Bürgertum, Intellektuelle, Priester, Kleinbauern, Tagelöhner und natürlich auch kommunistische Schergen köcheln in derselben Soße. Doch der „Chef de cuisine“ ist stets der Tod.

Wer das erste Drittel der 575 Seiten gelesen hat, wird den Chor der Stimmen nicht mehr los. Banales, Alltägliches und ein immenses Vokabular an Flüchen ergeben eine Symphonie des Grauens. Die Welt ist eine beständige Tretmühle; Monotonie, Einsamkeit, Enttäuschung und Überdruss lassen sich nur dadurch ertragen, weil man dem eigenen Tod ins Auge schaut – oder sich vorerst mal dem Suff ergibt.

„Bischof Hillarius betrachtete die körperliche Anwesenheit des Bösen, seine emsige, mit Vorliebe versteckte Wege nutzende Betriebsamkeit nicht als dichterische Erfindung. Nicht als Gleichnis weltlicher Handlungen. Er erkannte den Satan als Sohn Gottes. Als das, was er war, der strahlendste unter den gefallenen Engeln. Der bedeutendste Feind des Schöpferwerks. In seinen Zerstörungen ist er ewig. Ihm kann keine Menschenseele ausweichen.“ Diese Zeilen spiegeln auch das Weltbild des Autors wider. Und Nádas legt dieses Weltbild in die Figuren seiner „Schauergeschichten“ – schonungslos und mit wuchtig poetischer Sprache. Dass diese Sprache auch im Deutschen auf jeder Seite spürbar wird, ist der Übersetzungsleistung von Heinrich Eisterer zu verdanken. Nádas’ Roman ist alles andere als leichte oder erbauliche Lektüre. Er ist eine Form von Literatur, die nicht schönen Schauer, sondern das existenzielle Schaudern erzeugt.

Péter Nádas:

„Schauergeschichten“. Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Rowohlt, Hamburg, 575 S.; 30 Euro.

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