Willkommen in Schlumpfhausen

von Redaktion

„Göttersimulation“ an den Kammerspielen

VON ALEXANDER ALTMANN

Die Götter müssen verrückt sein! Dieser Eindruck drängt sich auf bei einer „Göttersimulation“, die weniger Theaterstück ist als vielmehr ein fulminantes Ausstattungs-Wunderland in wabbeliger Schlumpfhausen-Ästhetik.

Denn bei dieser Uraufführung an den Münchner Kammerspielen wird man fast erschlagen von hyperintensiven, gewollt unnatürlichen Farben und zuckrigen Marshmallow-Formen. Genauso vogelwild: die stilistisch passenden Kostüme, die ihre Träger wie unwirkliche Marzipanfiguren aussehen lassen.

Dazu kommen Videoprojektionen auf mehreren Ebenen, die mit ganz handfesten Kulissenbauten zu einer irrwitzigen Imitation der Virtual-Reality-Welten aus Computerspielen verschmelzen. Nebel wallt um seltsam teigige Fantasie-Architektur, die irgendwo zwischen Geisterbahn, Disneyland und Fantasy siedelt, und hinter all dem kreist im Zeitraffer ein gigantischer Sternenhimmel. Gelegentlich schwebt auch ein sprechendes Vagina-Auge in effektvoller 3-D-Optik über der Bühne, und irgendwie soll all das zusammen einen Blick ins „Metaversum“ simulieren, in den „Flugmodus der Gegenwart“.

Ersonnen, geschrieben sowie (recht brav) inszeniert wurde diese Götter-Groteske von Emre Akal, der hier eine Begegnung der älteren Generation mit den „Digital Natives“ stattfinden lässt: Zwei Greise aus dem Pflegeheim (Walter Hess, Erkin Akal), die vom Pfleger eine Virtual-Reality-Brille aufgesetzt bekommen, geraten dadurch in die digital animierte Welt eines Online-Videospiels. Eigentlich sind die beiden auf der Suche nach Gott, aber in der virtuellen Realität, die „von den Pixeln her so viel glatter“ ist, finden sie statt dessen zahlreiche Götter. Denn in dem Spiel (das es offenbar tatsächlich gibt) können die jugendlichen „Gamer“ als Avatare auftreten, die Götter aus dem alten Babylon darstellen – und sich eine eigene Welt erschaffen. Eine kleine Sensation sind dabei die Darsteller. Neben den beiden älteren Herren spielen hier nämlich ausschließlich Kinder und Jugendliche, die ein erstaunliches Können und teilweise überraschende Bühnenpräsenz zeigen.

Aber ach, was optisch noch als schwülstig-schräge Entgrenzungs-Orgie daherkommt, erweist sich dann immer mehr als pädagogisches Unterfangen. Letztlich will man „die Kids“ schon warnen vor der Flucht in Scheinwelten, mit der man der wirklichen Realität am Ende doch nicht entkommt: Da gibt es die Szene mit dem elfjährigen Götter-Gamer, der von seinen Avatar-Kumpels online verleitet wird, etliche nicht-virtuelle Schnäpse zu kippen – weshalb er dann auch ganz analog sein Zimmer vollspeibt. An anderer Stelle geht es um den nicht mehr ganz so kindlichen Spieler, der sich für eine hübsche Summe die mächtigste Figur im Spiel (einen „Befehlsgott“) gekauft hat, als Ausgleich dafür, dass er im richtigen Leben einen ziemlich subalternen Job hat. Ist das Metaversum also vielleicht nur eine neue Art Opium fürs Volk, eine Pseudoreligion, in der man gleich selber Gott spielen kann? Das wissen die Götter.

Natürlich liegt der eigentliche Reiz des Stücks in der bizarren Konstellation, dass ein reales Theater mit meist analogen Mitteln und Menschen die digitale Virtual Reality nachahmt, die ihrerseits die analoge Welt nachahmt. Schade, dass es die Aufführung versäumt, mit diesem Pfund zu wuchern. Denn bei aller Bewunderung für den Ausstattungs-Coup und die tollen technischen Effekte – dass man sich an dem Abend göttlich amüsiert, wäre eine Übertreibung. Das Premierenpublikum spendete trotzdem frenetischen Beifall.

Nächste Vorstellungen

am 26. November sowie am 11. und 23. Dezember; Telefon 089/ 233 966 00.

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