Letzter Gruß von der rosa Wolke

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Dr. John pfeift in „Things happen that Way“ auf alle Genre-Grenzen

VON CHRISTOPH ULRICH

Er fehlt. Wie sehr Malcolm „Mac“ Rebennack alias Dr. John der Musikwelt abgeht, zeigt sich schon nach exakt 45 Sekunden Spielzeit dieses Albums. Es sei eine Weile her, singt er im Eröffnungssong, einer von Willie Nelson 1961 für Billy Walker geschriebenen Ballade. Wie es ihm gehe? Er denke, gut.

An dieser Stelle, Sekunde 45, bricht ihm die Stimme in der hohen Lage weg – just während einer Zeile, die er dem Original hinzufügt: Es sei so lang her, dass man sich gesehen habe – und doch komme es ihm vor wie gestern. Der Chorus bahnt sich an: „Ain’t it funny how Time slips away“ – „Ist es nicht komisch, wie die Zeit vergeht.“

Dr. Johns vertraute, altersgeschwächte Stimme mit dem Wissen zu hören, dass sein Herz kurz nach den Aufnahmen aufhören sollte zu schlagen, kann einem schon feuchte Augen bescheren. Gleichzeitig aber muss man grinsen: Da hat es der knorrige Zausel doch glatt nochmals geschafft, seine Fans zu überraschen. Der geniale Botschafter des New-Orleans-Funk, Jazz und Rhythm’n’Blues, dieser visionäre Blueser, entspannteste aller Boogie-Woogie-Artisten, Rock’n’Roll-Innovator und Hall-of-Famer erfüllte sich kurz vor seinem unerwarteten Tod im Juni 2019 einen lang gehegten Wunsch: ein Country- und Western-Album.

Was wieder zeigt, wie unberechenbar er durch die Genres streifte, Grenzen geflissentlich ignorierte und das große verbindende Element suchte. In diesem Fall ist dieses Element er höchstselbst. Anders ausgedrückt: Man muss schon ganz genau hinhören, um das Album-Sujet zu identifizieren. Ob Stücke von Hank Williams, den Travelling Wilburys, aus dem Repertoire von Johnny Cash oder Traditionals wie „Gimme that old Time Religion“ – das Ganze klingt unverkennbar knarzig nach Dr. John. Er selbst steuerte übrigens die besten Songs bei, vier Originale. Bei der Umsetzung ließ er sich von verdienten New-Orleans-Session-Haudegen helfen; ebenso von Singer-Songwriterin Katie Pruitt und langjährigen Wegbegleitern wie Aaron Neville oder Willie Nelson sowie dessen Sohn Lukas und seiner Band Promise of the Real – die sich auch als Backing Band von Neil Young verdingt.

Die meilenweit klaffenden Abgründe des Genres umschifft das Album gekonnt. Es jagt sogar, ganz im Gegenteil, einem rührseligen Stil das richtige Maß Gefühl ab. So entstand ein intimes und ungeschminktes Opus, das sich im besten Sinne der Americana zuordnen lässt. Dass es das letzte Werk von Dr. John (1941-2019) werden würde, war nicht unbedingt klar. Und doch ist es irgendwie ein passendes Vermächtnis, ein letzter, rosa umwölkter Gruß aus dem Jenseits.

Insofern ist es den Verwaltern der weltlichen Hinterlassenschaften des einzig wahren Hohepriesters im New-Orleans-R&B zu danken, dass sie „Things happen that Way“ veröffentlichten. Es macht klar, wie schön es gewesen wäre, Dr. John noch ein bisschen auf dieser Welt gewusst zu haben. Denn er fehlt. Gewaltig sogar.

Dr. John:

„Things happen that Way“ (Rounder Records) auf Vinyl, CD sowie digital.

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