Zur Erinnerung: hierzulande Studentenunruhen Ende der 1960er-Jahre, gleich darauf der Terror der Rote Armee Fraktion: Im Kampf gegen das „imperialistische Herrschaftssystem“ der Bundesrepublik sah die RAF Gewalt als gerechtfertigt. Man ist mit diesem Hintergrundwissen also bestens vorbereitet für Nicoletta Giampietros Roman „Mit geballter Faust“ über die rebellierende Jugend Italiens, letztlich über die kompromisslose Gewalt-Doktrin der Roten Brigaden wie auch der neofaschistischen Extremisten in Mailand ab 1969, über ein ganzes Jahrzehnt hinweg.
Vorab Entwarnung: Man hat keine trockene Polit-Lektüre zu befürchten. Natürlich sind hier die „anni di piombo“, die bleiernen Jahre, das Grundthema: mit blutigen Ereignissen wie dem Bombenanschlag auf der Piazza Fontana, der Geiselnahme des zweimaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro und seiner Ermordung. Aber erzählt wird dies alles entlang einer emotional geladenen Familiengeschichte. Hauptpersonen sind die Schwestern Gabriella und Giulia. Bereits im Lyzeum politisch aktiv, nehmen sie an Demonstrationen teil. Giulia zweifelt bald an der studentischen Bewegung, vor allem als die linksextreme Gewalt an ihrer Schule zunimmt. Gabriella radikalisiert sich, flüchtet unter falschem Namen nach Frankreich – und kommt erst spät zu einer humanen Einsicht.
Mit der Gegenüberstellung der beiden Schwestern in ihrer Meinungsverschiedenheit arbeitet Giampietro den Konflikt zwischen menschlicher Vernunft und Ideologie klar heraus. Das hat etwas Didaktisches – ein Ergebnis wahrscheinlich des Werdegangs der Autorin. Die 62-Jährige studierte Politikwissenschaften und Geschichte – und ist Mutter von vier Kindern. Sie liefert hier eine akribische historische Aufarbeitung vermittels der damit gekoppelten, von ihr höchst einfühlsam gestalteten Schilderung junger Menschen: wie sie politisch agieren, Freundschaften schließen, sich bei familiären Schwierigkeiten gegenseitig helfen; wie sie sich verlieben und charakterlich reifen. Das macht das Buch auch zu einem Entwicklungsroman, den man vor allem jungen Lesern empfehlen möchte.
Fast 400 Seiten verlangen allerdings Durchhaltevermögen. Dafür ist Giampietros Stil leicht lesbar. In der wörtlichen Rede bemühte sie sich um jugendliche Lockerheit in ihrem Deutsch – eine Sonderleistung der Tochter aus einer italienisch-französischen Familie.
Nicoletta Giampietro:
„Mit geballter Faust“, Piper, München, 384 Seiten; 24 Euro.