Der Leidkultur folgen

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Elfriede Jelineks autobiografischer Monolog „Angabe der Person“

VON SIMONE DATTENBERGER

„Angabe der Person“, das heute erscheinende Werk von Elfriede Jelinek, ist wieder ganz und gar „typisch Jelinek“ – und doch in einem entscheidenden Punkt deutlich anders. Sie bringt erstaunlich offensiv ihre eigene Person ein, ihre Familie, die zum größten Teil von den Nazis ermordet wurde, ihre Ängste und eine imponierende Selbstreflexion.

Aufmerksame Leserinnen und Leser könnten mühelos aus „Angabe der Person“ markante Kritikpunkte an Jelinek genauso herausfiltern wie profunde Aussagen zu ihrem Schreibstil, ihrer Vorgehensweise, ihrer Wirkung aufs Publikum. Das heißt in der Konsequenz: Die Autorin dieser Rezension könnte aus Zitaten eben jene Kritik montieren. Die ernste Nobelpreisträgerin (2004) mit dem wunderbar schlitzohrigen Hang zum Kalauer schafft es also wieder, uns zu überraschen.

Gleich geblieben ist Jelineks einzigartige Stärke: die Magie eines Schreib-Sprechens, das widerspenstig ist. Man hängt oft fest und denkt: Versteh’ ich nicht. Zugleich besitzt alles einen Sog, sodass man einfach weiterlesen muss. Seltsamerweise wirkt dieser Sog stärker beim Lesen als im Theater, wenn der Text inszeniert und auf mehrere Schauspieler aufgeteilt wird. Jelinek lässt mit ihrem Riesen-Monolog beide Möglichkeiten offen. Allerdings ist schon im Buch vermerkt, dass „Angabe der Person“ im Dezember am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wird (Regie: Jossi Wieler).

Die kürzlich 76 Jahre alt gewordene Künstlerin schlägt trotz des Buchtitels der aktuellen Memoiren- und Autofiktionsseligkeit ein Schnippchen. Es geht um das, was die gesamte Leserschaft betrifft: die Steuern. Und darum, wie sich Personen oder Unternehmen mit legalen und illegalen Tricks davor drücken – womit sie uns höhere Zahlungen aufbürden. Jelinek hat sich seit jungen Jahren mit den Wirtschaftsstrukturen und -mechanismen des Kapitalismus beschäftigt. Jetzt informiert sie boshaft und witzelnd über miese Machenschaften zwischen Steueroasen, Wirecard, Cum-Ex-Geschiebe und Briefkastenfirmen. Dazwischen blitzt ihr eigenes, längst eingestelltes Steuerverfahren auf, das sie in Rage brachte und tief verletzte.

Kaum verdreht man die Augen (ach ja, Steuergejam-mer), offenbart Jelinek den eigentlichen Schmerz: das Ausrauben und die Ermordung der europäischen Juden, nach dem Krieg gefolgt von kleinlichen oder gar keinen Rückerstattungen. Die ohnmächtige Wut, die sie zu Recht schon oft formuliert hat, wird angestachelt vom Wissen um Großzügigkeit gegenüber Nazis und NS-Profiteurinnen. Sie erhielten Besitz teils sogar zurück wie Henriette von Schirach, Großmutter von Bestsellerautor Ferdinand von Schirach. So wie Jelinek tobt, wenn es um die Familien Schirach und Seyß-Inquart geht, so liebevoll führt sie den Opa, den Onkel Poldl oder Cousin Adalbert in den Text ein. Diese sowie Vater und Mutter behütet sie sanft, deutet die Schicksale an, oft mit schwarzem Humor und ohne Voyeurismus zuzulassen: „Folgen Sie jetzt meiner Leidkultur!“ Sofort kommt Widerstand, Nachdenken, Selbstironie: „Ich habe munter verdeckt und verdunkelt, verblödet von meiner Gier, auch hier, am besten überall, mit meinem eigenen Leid vorkommen zu dürfen, was ich mir selbst schon oft verboten habe, anderen aber auch.“

Am Ende befragt die Dichterin vor allem ihr Instrument und sich selbst: „So groß ist das Vermögen der Sprache, wie soll ich es anlegen? Daß sie mit einem und gegen einen vorgeht, mit einem geht, gegen einen anderen vorgeht, mit nichts als sich selbst. Sie kann alles. (…) Ab jetzt ist bereits Vergangenheit, meine kleinen Worte sind alle Vergangenheit, wer fragt danach?“ Wir, die Leserschaft! Denn wir brauchen Elfriede Jelinek, jene Schriftstellerin, die mutig niemals Aktualität meidet, dabei jedoch nie doof-didaktisch labert, sondern unsere Intelligenz respektiert, indem sie Kunst schafft.

Elfriede Jelinek:

„Angabe der Person“. Rowohlt Verlag, Hamburg, 189 Seiten; 24 Euro.

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