Abbruch statt Aufbruch

von Redaktion

Lydia Grün, neue Präsidentin der Musikhochschule, über den maroden Zustand des Gebäudes

Eigentlich soll sie den Aufbruch an der Arcisstraße verkörpern. Doch Lydia Grün, neue Präsidentin der Münchner Hochschule für Musik und Theater, bekommt es nun eher mit dem Thema Abbruch zu tun. Bekanntlich ist das Gebäude extrem marode. Nun steht das Institut vor der ersten Teilschließung. Die Kulturmanagerin und Musikwissenschaftlerin kommt von der Hochschule Detmold. In München ist sie Nachfolgerin von Bernd Redmann, der überraschenderweise nicht wiedergewählt wurde.

Das marode Theater Augsburg musste 2016 von einem Tag auf den anderen schließen. Kann Ihnen das auch passieren?

In der Woche ab 28. November müssen wir unser Hauptgebäude an der Arcisstraße tatsächlich teilschließen. Dieser Baubestand und die Gebäudetechnik sind von 1937, in diesem Zustand ist ein gesicherter Betrieb zunehmend in Gefahr. Im konkreten Fall dreht es sich um die Beseitigung eines Wasserschadens. Deshalb können wir bestimmte Fluchtwege nicht mehr bereithalten. Das bedeutet, dass wir den Großen Konzertsaal und den Senatssaal für mindestens eine Woche schließen. Das klingt nach wenig. Die Musikhochschule ist aber der größte Konzertveranstalter der Stadt, unsere Studierenden werden auf der Bühne für die Bühne ausgebildet. Gerade im Wintersemester und unter Vollbetrieb diese Zäsur hinnehmen zu müssen, ist für uns hochproblematisch. Und es ist ein Symptom: Jederzeit kann so etwas andernorts in diesem Gebäude passieren.

Fühlen Sie sich hingehalten von den politischen Entscheidungsträgern, weil es längst Pläne für die Generalsanierung und ein Ausweichquartier gibt?

Es ist nicht nur so, dass es längst Pläne gibt. Seit mehreren Jahren liegt der komplett ausgearbeitete Antrag für die Generalsanierung der Arcisstraße 12, die Entwicklung des Campus Arcisstraße inklusive Ausweichquartier vor. Wir können auf Champions-League-Niveau spielen. Dafür brauchen wir aber die Rahmenbedingungen. Das meint Grundsätzliches: bespielbare Säle, stabile Stromversorgung, funktionierende Haustechnik von Lüftung bis zu sanitären Anlagen. Wir sprechen nicht über Hightech.

Woran hakt es denn? Es gibt den Plan, dass in Gebäude an der Giesinger Frankenthaler Straße umgezogen wird.

Dieses Areal wird von uns seit mehreren Jahren bewirtschaftet und ist als Ausweichquartier von unserer Seite aus fest eingeplant. Ich bin nach den Gesprächen mit dem Kunstministerium sehr optimistisch, dass unsere Drucksituation dort verstanden und geteilt wird. Wir brauchen aber jetzt den Startschuss.

Wie geht es Ihnen damit? Sie würden als neue Präsidentin gern inhaltlich arbeiten, sitzen aber in einem maroden Haus.

Als ich mich beworben habe, wusste ich, dass die Herausforderungen hier komplex sind. Die große Baumaßnahme mit der Generalsanierung der Arcisstraße 12 ist ja nur ein Thema. Ich wünsche mir eine starke Partnerschaft mit der Politik – und bin zuversichtlich, dass dies funktioniert. Weil ich glaube, dass wir als starke Hochschule dem Kulturleben in Bayern, in Deutschland, in Europa und darüber hinaus sehr viel zur Verfügung stellen können. Wenn Sie sich unten an die Pforte stellen und schauen, wer hier pro Stunde alles ein und aus geht: Das ist eine junge Generation. Das sind die Menschen, die in den nächsten Jahrzehnten unser Kultur- und damit gesellschaftliches Leben gestalten werden. Die unsere Kinder unterrichten, Konzerte geben, neue Kunst entstehen lassen, an den verschiedensten Orten in ganz Bayern und in der Welt. Das treibt mich an, daraus erwächst eine Verantwortung.

Wundert Sie es, dass dies im reichen Freistaat Bayern überhaupt ein Thema ist und alles so lange dauert?

Ich schätze an der Mentalität in Bayern die Offenheit, den starken Pragmatismus und den echten Willen, Probleme zu lösen. Deshalb bin ich optimistisch, dass wir auch hier eine gute Lösung finden werden. Was wichtig ist: Wir reden – und das betrifft die gesamte Kulturszene – nicht aus einer kompletten Defizitsituation heraus. Wir können unserer Gesellschaft vieles anbieten und vieles beitragen. Das werden wir in Zukunft offensiver kommunizieren.

Die Renovierung des Gasteigs verzögert sich, das Konzerthaus wird vielleicht nie realisiert: Ist es realistisch, dass Sie dort auf absehbare Zeit die geplanten Räume bekommen?

Ja. Das muss auch unser Weg sein. Für uns als Hochschule ist es dabei auch wichtig, nicht nur in der Hochschule präsent zu sein, gerade für die performativen Künste. Musik zum Beispiel passiert in der Interaktion mit anderen Menschen. Es bringt uns also überhaupt nichts, wenn wir uns in ein Zimmer einschließen und dort üben. Wir müssen unsere Arbeit in die Stadtgesellschaft hinaustragen. Gerade das geplante Konzerthaus mit seinem Vermittlungskonzept ist in Zusammenarbeit mit unseren dortigen Partnern ein wichtiges Podium.

Kommt das Konzerthaus überhaupt noch?

Das müssen Sie die politischen Entscheidungsträger fragen. Wir Kulturschaffende brauchen solche Podien.

Alle Welt spricht davon, dass sich durch die Corona-Zeit das Kulturleben verändert. Aber keiner weiß, in welche Richtung. Wie müssen Sie dem als Hochschule begegnen?

Unsere Aufgabe ist es, auszuprobieren, wohin es gehen kann. Wir dürfen uns nicht der Situation überlassen, sondern müssen selbst handeln. Einerseits stehen wir durch Corona vor kurzfristigen Herausforderungen. Aber diese haben längere Tendenzen verstärkt. Dass sich unser Publikum verändert und auch weniger wird, ist seit 20 Jahren ein Thema. Wie etwa künstlerische Produktionen entwickelt werden, wie Sparten miteinander arbeiten können, das alles können wir selbst gestalten.

Was ist falsch gelaufen?

Ein großes Thema. Es geht ganz allgemein um die Positionierung in der jeweiligen Stadtgesellschaft oder in der Gemeinschaft im ländlichen Raum. Als Theater, aber zum Beispiel auch als Kirchenmusiker oder Leiterin einer Musikschule. Die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Kunst passiert, muss mit noch höherer Dringlichkeit geschehen als bisher. Wer wohnt in meiner Stadt? Für wen möchte ich Kunst machen? Wie vernetze ich mich? Wen möchte ich einladen und mit welchen Themen? Ich nehme da ein Wollen wahr, aber das darf nicht als Zusatzmaßnahme zum normalen Betrieb geschehen.

Ihre Wahl hat viele überrascht. Man rechnete damit, dass Ihr Vorgänger Bernd Redmann bleibt. Mit Ihrem Amtsantritt verbindet man, dass die Hochschule aus dem Schatten der Vergangenheit mit ihrem #Metoo-System tritt. Belastet das, wenn man einen solchen Bruch verkörpern soll?

Nein. Mir sind die Komplexitäten natürlich nicht verborgen geblieben. Ich bin Professor Redmann sehr dankbar für seine Übergabe. Wir haben ein gutes und professionelles Verhältnis zueinander. Auf dem, was er an diesem Hause begonnen hat, kann ich aufbauen. Ich nehme gerade sehr viel Schwung wahr. Mir begegnen Menschen extrem offen. Ich gehe jeden Morgen fröhlich in dieses Haus – weil ich wahrnehme, wie man gemeinsam gestalten will. Das ist für mich mein täglicher Sprit, auch in der aktuellen herausfordernden Lage.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

Artikel 2 von 2