„Der Aufklärer des Ostens“

von Redaktion

Geschwister-Scholl-Preis für den ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow

VON ULRIKE FRICK

„Das Buch, das wir heute Abend auszeichnen, wird den Kriterien des Preises in ganz besonderer Weise gerecht“, erklärt Klaus Füreder vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu Beginn der gestrigen Pressekonferenz. Der diesjährige Geschwister-Scholl-Preis, vom Börsenverein und der Stadt München seit 1980 jährlich vergeben und mit 10 000 Euro dotiert, geht an Andrej Kurkow, einen der bekanntesten Schriftsteller und Intellektuellen der Ukraine, für sein sehr persönliches „Tagebuch einer Invasion“ (Haymon Verlag, 345 Seiten; 19,90 Euro). „Sinn und Ziel des Preises ist es, ein Buch auszuzeichnen“, fährt Füreder fort, „das von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“.

„Die aktuelle Lage in der Ukraine demonstriert einmal mehr die Bedeutung von Freiheit“, setzt Münchens Kulturreferent Anton Biebl fort. „Sie zeigt die Verletzlichkeit dieser Werte und dass es keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer wieder aufs Neue gelehrt, gelernt und verteidigt werden muss.“ Biebl feiert Kurkow „als einen der großen Aufklärer über den Osten“. Der 24. Februar 2022 markiert eine tiefe historische und politische Zäsur, nicht nur für die Ukraine. Zu viel steht für alle Menschen auf dem Spiel bei diesem Krieg. Geschickt schlägt Biebl eine Brücke zu Hans und Sophie Scholl, die in ihrem fünften Flugblatt im Januar 1943 schrieben: „Der imperialistische Machtgedanke muss – von welcher Seite er auch kommen möge – für alle Zeiten unschädlich gemacht werden.“ Es geht um die Freiheit der Rede und den Schutz des Einzelnen vor einem verbrecherischen Regime. Forderungen, die nichts von ihrer Bedeutung verloren haben und gerade wieder aktuell sind. „Damals wie heute braucht es mutige Menschen, die für diese Werte einstehen“, schließt Biebl.

„Eine große Ehre“ sei der Preis für ihn, dankt Andrej Kurkow. Vor vielen Jahren habe er einen Film über die „Weiße Rose“ und Hans und Sophie Scholl gesehen. Ihr Schicksal sei ihm also schon vor der Nachricht über die Auszeichnung geläufig gewesen. Der Geschwister-Scholl-Preis habe für ihn große Bedeutung, weil er zeige, dass sich die Menschen in Deutschland und speziell in Bayern mit dem Schicksal der Ukrainer auseinandersetzen und sie sein Volk nicht im Stich lassen würden. Auf Nachfrage gesteht Kurkow zwar später, dass er – wie alle seine Landsleute – zu Beginn des Krieges von der zögerlichen Haltung Deutschlands ein wenig enttäuscht gewesen sei. Das habe sich aber längst vollkommen geändert.

Nicht geändert haben sich dagegen die Moral und der Kampfgeist der ukrainischen Bevölkerung. Um den Menschen in den schrecklichen Stunden etwas Trost zu spenden, wären gerade auch die Künstler jetzt gefordert, berichtet der Geehrte. Lyrikabende im Luftschutzkeller gebe es. Seine Frau habe am Sonntag sogar eine Oper ohne Unterbrechungen bis zum Ende ansehen können. Anfangs war er wie alle Ukrainer völlig paralysiert vom Schock. Inzwischen werde immer deutlicher: Kultur ist Hoffnung und gibt Identität. Gerade die wollte Putin der Ukraine ja rauben. „Aber wo es Kultur gibt, gibt es Zukunft“ schließt Kurkow seine bewegende Ansprache.

Lesung

Andrej Kurkow stellt sein Buch heute, 20 Uhr, in der Münchner

Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45, vor; Karten unter 089/380 150 0.

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