Das war ja klar. Natürlich ist das Romandebüt des originellen und innovativen bildenden Künstlers und preisgekrönten Filmemachers Benjamin Heisenberg nicht einfach nur irgendeine Geschichte. Vielmehr ist „Lukusch“ eine fantasievoll eigene Erfindungen und Realität mischende Textcollage, so literarisch gekonnt wie intellektuell anregend.
Schon in seinen Spielfilmen fand sich neben einer unnachahmlichen, alles durchdringenden Lässigkeit stets eine enge Verbindung von Fakten und Fiktion. „Der Räuber“ beispielsweise basierte auf der wahren Begebenheit eines im Österreich der Achtzigerjahre nur als „Pumpgun-Ronnie“ bekannten Bankräubers.
Mitte der Achtziger nimmt auch die irre Geschichte ihren Anfang, die Heisenberg, Enkel des Physik-Nobelpreisträgers Werner und Sohn des Neurobiologen Martin Heisenberg, jetzt in „Lukusch“ erzählt. Im Mittelpunkt steht der 13-jährige Ukrainer Anton Lukusch, der nach der Katastrophe von Tschernobyl mit seinem ständigen Begleiter Igor und anderen Kindern vom nahe des Kernkraftwerks gelegenen Prypjat nach Westdeutschland gebracht wird.
Zufällig entdeckt man dort Lukuschs Talent fürs Schachspiel. Innerhalb von nicht einmal 20 Minuten gewinnt er eine Schachpartie gegen den amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl und brilliert bei einem Auftritt in der Sendung „Wetten dass…?“ Die öffentliche Begeisterung ist grenzenlos. Der Medienrummel ebenfalls. Doch inmitten dieses Getümmels scheint Anton seltsamerweise zu verschwinden, gemeinsam mit seinem Kumpel Igor, der erst 2020 wieder auftaucht. Als Schachgroßmeister.
Das Märchen um Antons Existenz hat Heisenberg clever verknüpft mit einem zweiten Fall eines verschwundenen jungen Mannes aus seinem Bekanntenkreis. Dieser inzwischen ebenfalls nicht mehr auffindbare Simon Ritter wollte den legendären Lukusch aufspüren und kurvte dazu quer durch Europa, immer verfolgt von mysteriösen Mächten. In diesen Passagen kippt der zwischen Sachbuch, Fotoalbum und Skizzenheft wechselnde Roman mit rasanten Schnitten plötzlich ins Thrillergenre. Der Autor spielt so lustvoll und virtuos mit den Grenzen zwischen falschen Fakten und belegbarer Historie, bearbeitet Fotos und manipuliert schließlich sogar das kollektive Gedächtnis derart elegant, dass man am Ende selbst nicht mehr sicher sein kann, was nun stimmt und was nicht. Völlig egal, formal ist das sehr aufregend – und spannend liest es sich allemal.
Benjamin Heisenberg:
„Lukusch“. C. H. Beck, München, 270 S.; 25 Euro.
Lesung: Benjamin Heisenberg stellt sein Buch am 2. Dezember, 19 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor; Karten unter 01806/70 07 33 oder unter literaturhaus-muenchen.reservix.de.