Münchens Geschmackszentrale

von Redaktion

Der legendäre Plattenladen Optimal feiert seinen 40. in den Kammerspielen sowie in der Roten Sonne

VON CHRISTOPH ULRICH

Anregende Entspannung hat viele Formen. Die einen setzen sich mit der Tageszeitung ins Café, die anderen zum Kulturgenuss in den Konzert- oder Theatersaal. Wieder andere bevorzugen ein gutes Buch in der Wanne – und dann gibt es Zeitgenossen, die schwören auf die regenerative Wirkung eines Nachmittags im Plattenladen. Zu erleben ist diese Art der Menschwerdung seit 40 Jahren in der Münchner Geschmackszentrale Optimal Records.

Das Alltagsrauschen verschwindet, wenn die große Glastür des Geschäfts im Glockenbachviertel in ihren stickerverzierten Rahmen fällt. Egal, ob im Laden gerade wütender Punkrock, gehaltvoller Folk oder entschleunigter Acid Jazz läuft – beim Gast macht sich ein wohliges Gefühl breit, irgendwo im Spannungsfeld von vertrautem Daheimsein und kribbeliger Vorfreude. Hinter jedem Cover, das durch die Finger flippt, steckt theoretisch eine Klangwelt, eine Musik gewordene Geschichte oder Katharsis, die das Zeug hat, Leben zu verändern. Die warme Welt des Analogen hat direkte Auswirkungen auf diejenigen, die sich in ihr bewegen. Entsprechend herrscht eine vertraute und unaufgeregte Stimmung. Überschwängliche Begrüßungen braucht es nicht, ein Kopfnicken genügt; man ist unter sich, inmitten von Wildfremden. Eine Platte zu entdecken ist ein kleines High, das nur jagende Sammler verstehen. Zwei Plattenspieler machen klar: Probehören ist ausdrücklich erwünscht. Zumindest, solange der Kunde das schwarze Gold gut behandelt. „Wenn ich sehe, dass jemand immer wieder mit seinen Fingern auf die Platte haut, dann geh’ ich schon hin und sag’, fass’ die Platte bitte am Rand an“, erzählt Christos Davidopoulos.

Die Geschichte fasst der Geschäftsführer von Optimal knapp zusammen: „Aus der Not heraus“ von Peter Wacha und Peter Blaha gegründet, öffnete der erste Laden 1982 an der Hans-Sachs-Straße. Er löste den Bauchladen ab, den Wacha alias „Upstart“ beim Auflegen in Cafés und Kneipen dabei hatte. „Upstart“ stand und steht für Musik abseits des Mainstreams, damals für Punk, Ska, Postpunk. Um an Singles zu kommen, flog er regelmäßig nach England. Der 20-Quadratmeter-Laden wurde schnell zu klein – dem Glockenbachviertel blieb das Optimal treu. Es ging zunächst in die Jahnstraße, bald ums Eck an die Kolosseumstraße, wo das Geschäft seit 1997 ansässig ist. „Obwohl wir uns von 70 auf 140 Quadratmeter vergrößert haben, war der neue Laden voll – so überfrachtet war der alte“, erinnert sich Davidopoulos, der 1987 zu Wacha & Blaha stieß und die Literaturabteilung begründete. Von 20 auf 140 Quadratmeter, von zwei auf fünf feste Mitarbeiter plus Aushilfen, vom Bauchladen zu einem der größten unabhängigen Plattenläden der Welt: eine stattliche Bilanz für ein Geschäft, das es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.

Schon Mitte der Achtziger löste die CD als vermeintlich überlegenes Massenmedium die Platte ab. Es folgten (illegale) Downloadplattformen, abgelöst von (legalen) Streamingdiensten. Dieser zunehmenden Verflüchtigung des Mediums stehen 4,5 Millionen verkaufte Schallplatten in Deutschland allein im vergangenen Jahr gegenüber – ein neuer Spitzenwert. Seit zehn Jahren geht die Entwicklung steil nach oben. Davidopoulos wirkt amüsiert. „Wir haben von Anfang an auf Vinyl gesetzt“, sagt er. CDs habe man nie geführt, auch aus finanziellen Gründen. Mit den Preisen der Elektronikmärkte und Drogerien habe man nie mithalten können.

Die Rettung sei damals die Ausrichtung auf Sub-Genres gewesen: „Erst kam Trip-Hop, dann Hip-Hop und damit DJs, die Platten gebraucht haben.“ Als Anfang der 2000er die DJs plötzlich digital aufgelegt hätten, kamen die Gitarrenbands als Rettung der Vinylbranche: Die Szene hörte The Strokes oder Arctic Monkeys bevorzugt auf LP. „Ich habe immer so bestellt, als würden wir alle Arten von Musik gleich gut verkaufen – hatte also immer alles da, was gefragt war.“ Das Vinyl-Revival freut den Geschäftsführer –vor allem hinsichtlich der Verfügbarkeit vergriffener Alben: „Gerade haben wir einen Sampler mit indonesischer Musik aus den Sechzigern bekommen: fantastische Musik“, schwärmt er.

Der Gedanke liegt nahe, dass das Optimal einfach funktionieren musste, weil die Idee weder auf rationalen noch rationellen Überlegungen fußt, sondern auf der gemeinsamen Leidenschaft dreier Männer. Ihr immer noch unstillbarer Hunger nach neuer Musik – nicht unbedingt eine gängige Eigenschaft 60-Jähriger – und ihre persönlichen Verstrickungen in die Szene und zum Musikkosmos um The Notwist, zu DJ Hell, den Goldenen Zitronen oder F.S.K. oder zum Münchner Club Rote Sonne bieten sich eher als Erklärung an. So muss man auch die eingangs zitierte Erklärung „aus der Not heraus“ deuten: Not macht erfinderisch, jedenfalls, wenn man sein Ziel mit Leidenschaft verfolgt. Den Überzeugungstätern blieb also gar keine Wahl, als aus den Gegebenheiten das Beste zu machen. Eine Einstellung, von der man ausschließlich lernen kann.

40 Jahre Optimal Records

wird natürlich gefeiert: Heute Abend ab 20 Uhr in den Münchner Kammerspielen, die für die Auftritte der Bands F.S.K. und What are People for? sowie der Musikerin Naima Bock die Stühle aus dem Schauspielhaus räumen. Das Konzert ist ausverkauft, mit Glück gibt’s Restkarten an der Abendkasse. Morgen wird dann von 23 Uhr an in der Roten Sonne, Maximiliansplatz 5, gefeiert.

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