Ach, hätte er doch länger geschwiegen! Heiner, von seiner ebenso fürsorglichen wie leicht tyrannischen Susanna gegängelt, sorgt in der Komödie im Bayerischen Hof mit Recht für die größten Lacher, weil er in der Weihnachtsfarce „Alle unter eine Tanne“ sein ganzes bemitleidenswertes Sein und Denken ausschließlich über Mimik und Körpersprache transportiert. Damit steht er im krassen Kontrast zum Rest dieser durchgeknallten, redseligen Familie, die man hier an deren Heiligabend kennenlernt. Das Stück von Lo Malinke um Flunkereien und Lügen für den Weihnachtsfrieden, die summiert in die Katastrophe führen, feierte am Donnerstag in München Premiere.
Bis kurz nach der Pause hält es Heiner aus, dargestellt von Ralf Komorr, bevor es in einem der wenigen stilleren Momente an der Festtafel aus ihm herausplatzt: „Ihr seid ein Witz, ein Irrenhaus!“ Recht hat er: Die Therapeutin Elli (Claudia Wenzel) und der Arzt Robert (Rüdiger Joswig) sind seit drei Jahren geschieden und haben mit Sprechstundenhilfe Chrissie (Viola Wedekind) und dem jungen Fahrschullehrer Micha (Armin Riahi) jeweils neue Partner gefunden. Für ihre drei erwachsenen und ahnungslosen Kinder – die erzkonservative Susanna (Katrin Filzen), den schwulen Tobias (Frank Habatsch) und die flippige Leonie (Monika Reithofer) – wahren sie jedoch immer an Weihnachten den Schein des glücklichen Ehepaares. Dann muss Micha bei Ellie wieder ausziehen und Robert bezieht Quartier.
Doch heuer soll alles anders werden, denn Chrissi und Micha haben das Versteckspiel satt und bleiben zum Familienfest. Die Bombe soll an Heiligabend platzen. Während Robert diesem Drängen nachgibt, setzt Ellie alles daran, das zu verhindern. Doch auch die Kinder haben ihre Geheimnisse: Susanna und Gatte Heiner droht mit ihrem Autohaus für Luxuskarren die Pleite, Tobias hat das Musikstudium abgebrochen und schreibt Jingles für Damenbinden und Leonie ist schwanger – Vater unklar. Keine Frage, dieser Schwank reizt die Klischees bis zum Anschlag aus.
Bis zur Pause, eingeläutet durch den (natürlich) brennenden Christbaum, bauen sich Geschehen und Spannung schnell und witzig auf. Die verbalen Attacken der Protagonisten haben es in sich, gelegentlich wird es zotig: Da wird mit der Länge und Pracht des Genitals geprahlt, die Potenz belächelt, man bezeichnet sich als Bikerflittchen oder Sprechstundenhengst, es geht um Vögeleien und Tunten. Nein, zartbesaitet darf man hier nicht sein. Zum hohen Tempo trägt auch das Bühnenbild in Form eines Wohnzimmers mit Durchreiche zur Küche und zwei Türen für schnelle Auf- und Abgänge bei.
Und zwischen all dem Trubel sorgt der trottelige Heiner als stumm kommentierender Sidekick für Gelächter. Dass es ausgerechnet er ist, der das Lügengebilde implodieren lässt, hätte kaum jemand erwartet: „Es spricht!“, sagt Tobias noch, bevor er losbricht, der gigantische Familienkrach – jeder gegen jeden. Dass hier alle flüchten wollen und es auch tun: nachvollziehbar.
Leider ist es nun wie mit einer schlechten Flasche Sekt: Nach dem großen Plopp prickelt es weniger als erwartet. Die Spannung ist raus, es wird ernster, die lügengeschwängerte Leichtigkeit ist dahin. Elli bricht zusammen, heult sich aus, offenbart ausgerechnet Rivalin Chrissie ihre Probleme mit dem Älterwerden, Zukunftsängste und Beziehungsprobleme inklusive. Doch keine Bange, am Ende sitzen sie natürlich alle wieder unter einer Tanne – nur eben unter einer verkokelten. Aber sie war ja ohnehin künstlich.
Bei alledem agiert das Ensemble als eingespieltes Team auf Augenhöhe und voller Spielfreude. In der zweiten Hälfte sitzt das Timing noch einen Hauch besser. Alles in allem eine schöne Bescherung.
Weitere Vorstellungen
bis zum 1. Januar; Karten und Termine online unter www.komoedie-muenchen.de oder unter Telefon 089/ 29 16 16 33.