Gioacchino Rossini war bekannt dafür, eigene Musik gern mal zu recyceln und erfolgreiche Arien oder Ouvertüre mit etwas Abstand anderen Stücken einzuverleiben. Eines der berühmtesten Beispiele ist „Il viaggio a Reims“, dessen Partitur später von ihm ausgiebig geplündert wurde. Er sah das Werk eher als Gelegenheitsarbeit, komponiert anlässlich der Krönung des französischen Königs Karl X. im Jahre 1825 und dem Anlass entsprechend als Star-Vehikel für nicht weniger als zehn der berühmtesten Belcanto-Stars seiner Zeit konzipiert. Handlung Nebensache, Hauptsache Koloraturen am laufenden Meter.
Für ein Ensemblehaus von der Größe des Augsburger Staatstheaters ein durchaus ambitioniertes Projekt. Natürlich sind die Rossini-Gene bei einigen hier weniger stark ausgeprägt als bei anderen. Das ist vor allem in den rasanten Ensembles zu hören, in denen manch kleiner dimensionierte Stimme gegen die rasant vorpreschenden Diven wenig Chancen hat und die Homogenität nicht immer gegeben ist. Wirklich ins Gewicht fällt dies zum Glück nicht.
Genauso wenig wie die quasi nicht vorhandene Story, die einer adeligen Gesellschaft folgt, die auf der Reise zur oben erwähnten Krönung in einem Kurhotel hängen bleibt und sich die Zeit mit Liebeleien vertreibt. Stefania Bonfadelli nimmt es in ihrer temporeichen Inszenierung sportlich. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Die vom Reichtum gelangweilte High Society tummelt sich bei ihr auf einem gepflegten Tennisplatz. Auf dem werden Duelle nicht nur mit Ball und Schläger ausgefochten, sondern zwischendurch zur Entspannung auch mal Yoga-Einheiten eingelegt, Bademode präsentiert oder Taekwondo-Schläge vorgeführt, mit denen sich eine der Damen gegen den mehrfach übergriffig aufgefallenen Möchtegern-Macho wehrt.
Kostümbildnerin Valeria Donata Bettella gelingt es, die unterschiedlichen Charakterzüge der im Sport-Dress auftretenden Reisegesellschaft auch im jeweiligen Outfit zu spiegeln. Von klassisch elegant mit Strickpulli im Wimbledon-Style über leicht prollig angehauchte Entgleisungen aus dem Fundus der Drei-Streifen-Marke bis hin zu pastellfarbener Ballonseide im „Denver Clan“-Gedächtnis-Look.
Deutlich zu spüren ist Bonfadellis eigene langjährige Erfahrung als Sängerin im Belcanto-Fach, wenn sie den von Rossini routiniert abgespulten Standard-Situationen hin und wieder einen kleinen Twist verleiht. So unter anderem im Duett zwischen Marchesa Melibea und dem von Claudio Zazzaro mit viel Testosteron ausgestatteten, in der Höhe aber manchmal etwas schmächtigen Conte di Libenskof. Hier lässt Ekaterina Aleksandrova keinen Zweifel daran, wer in dieser Konstellation tatsächlich die Hosen anhat und kann dazu mit sonorem Mezzo punkten.
Auf ein Unentschieden kommen dagegen die zwei prominent bedachten Sopranistinnen. Denn während Olena Sloia als überdrehte Diven-Karikatur die Koloraturen nur so perlen lässt, darf die Stimme von Jihyun Cecilia Lee in langen, von der Soloharfe sensibel begleiten Bögen sanft in den Raum schweben.
Selbst wenn der eitle Cavaliere Belfiore beim Augsburger Tennis-Turnier nur den dritten Platz auf dem Podest erringt: Unter rein sängerischen Kriterien entscheidet Niklas Mayer mit stil- und höhensicherem Vortrag die Tenor-Wertung klar für sich. Ähnlich souverän wie Avtandil Kaspeli in der Bass-Liga, der als Don Profondo seinem Rollennamen alle Ehre macht. Sie alle sind mit großer Spielfreude am Werk. Ebenso wie das Orchester unter Ivan Demidov. Geschenkt, dass es im Graben hin und wieder etwas knarzt. Denn auch das Orchester hat hörbar Spaß an diesem Nonsens. Und das hat bei Rossini schließlich noch nie geschadet.
Nächste Vorstellungen
am 10., 16. und 28. Dezember, 8. Januar sowie am 9. Februrar; Telefon 0821/324 49 00.