„Ich bin kein Applaus-Junkie“

von Redaktion

Martin Grubinger über sein Karriere-Ende und Künstler als politische Opportunisten

Martin Grubinger ist einer der wenigen deutschsprachigen Weltstars der Klassik. Nach dieser Saison wird der Schlagzeuger im Alter von 40 Jahren seine Bühnenkarriere beenden. Den runden Geburtstag feiert er am 29. Mai. Im Gespräch erklärt der Salzburger, warum er das tut, was er seinem Vater verdankt und weshalb es für ihn wichtig ist, eine politische Haltung zu haben.

Für Sie wurden rund 30 Schlagzeugkonzerte komponiert. Ist es nicht mühsam, sich diese Musik zu erarbeiten?

Wenn im Sommer die Familie in Urlaub fährt, ich aber im Probenraum das neue Konzert von Daniel Bjarnason einstudiere und auswendig lerne, dann frage ich mich schon: Warum tue ich mir das an? Aber wenn ich dann auf der Bühne stehe, jeden Ton des Werks kenne und das dem Publikum präsentieren kann, macht das schon große Freude und ist all der Mühen wert.

Was waren die ungewöhnlichsten Instrumente, auf denen Sie gespielt haben?

Ketten, Bremstrommeln, Ölkanister, Statuen, Flaschen, irgendwelche Metallsachen aus dem Baumarkt. Dort sind Schlagzeuger übrigens häufig, um nach Dingen zu suchen, die man für moderne Partituren braucht. Das ganze Zeug liegt dann bei mir im Lager – der Schlagzeuger trennt sich nie von seinen Instrumenten. Man könnte sie ja irgendwann mal brauchen.

Sie suchen immer das Extreme – im Sport, in der Musik. Auch das Karriere-Ende mit 40 ist ein extremer Schritt, den Sie lange vorher angekündigt haben. Warum gehen Sie den?

Weil es sich richtig anfühlt. Die Vorstellung, mein ganzes Leben lang nur Schlagzeug zu spielen, gefiel mir nie. Deshalb denke ich schon sehr lange darüber nach, dass ich nochmals etwas anderes machen möchte, zum Beispiel Geschichte studieren. Ich habe schon mit 15 Jahren begonnen, solistisch zu spielen. Das ist eine lange Zeit. Inzwischen hat sich das Schlagzeug als Soloinstrument etabliert, es gibt viel Repertoire. Und es kommen viele ausgezeichnete Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger nach. Deshalb passt das für mich mit dem Karriere-Ende.

Glauben Sie nicht, dass Ihnen etwas fehlen wird? Der Adrenalinkick? Der Applaus?

Ich bin kein Adrenalin- oder Applaus-Junkie. Für viele Kolleginnen und Kollegen ist der Auftritt und der Applaus das Lebenselixier – für mich nicht. Natürlich freut es mich, wenn ich mit meinem Spiel das Publikum glücklich machen kann. Viel wichtiger ist mir aber noch, dass der Komponist zufrieden ist.

Warum möchten Sie Geschichte studieren?

Weil Geschichte mich einfach fasziniert und begeistert. Beruflich wird das wahrscheinlich nicht zum Lebensmittelpunkt werden. Aber auf diesem Gebiet noch mehr zu erfahren, ist wirklich ein Traum von mir.

Gibt es für dieses historische Interesse auch eine Verbindung zu Ihren Instrumenten, die aus der ganzen Welt stammen und auch bestimmte Kulturen repräsentieren?

Absolut. Nehmen wir Afghanistan – ein Land mit einer großen Schlagzeugtradition. In den 60er- und 70er-Jahren gehörte Afghanistan zu den fortschrittlichsten Ländern in dieser Region. Jetzt regieren die Taliban. Aber die reiche musikalische Kultur können sie nicht zerstören. Wir Künstler können nie unpolitisch sein. Auch Kompositionen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern von Menschen, die in einer bestimmten Situation leben. Wir Künstler müssen uns bekennen – wir haben immer eine Wahl. Wir können auf der richtigen oder der falschen Seite stehen. Ich kann nicht Mozart, Beethoven, Mahler, Schostakowitsch und Strawinsky spielen und gleichzeitig für einen Despoten auf der Krim oder in Syrien Orchester dirigieren.

Ihr erster Lehrer war Ihr Vater. Er ist auch Mitglied im von Ihnen geleiteten Percussive Planet Ensemble. Was haben Sie von ihm gelernt?

Alles. Mein Vater war der Ultimativlehrer. Wir haben Fußball und dann Schlagzeug gespielt. Wir waren Skifahren und haben wieder Schlagzeug gespielt. Wir waren beim Abendessen und haben wieder Schlagzeug gespielt. Ich habe das nie als Zwang empfunden. Alles hat sich vermischt, bis der Moment kam, an dem ich selbst einen Ehrgeiz entwickelte, weil ich auch ein sportiver Typ bin. In in der Pubertät gab es Reibereien zwischen uns und der Ödipus schlug durch – dann bin ich nach Linz gegangen.

Aber jetzt sind Sie wieder gut mit Ihrem Vater?

Ja, natürlich. Er ist jetzt Rentner, genießt das Leben und trainiert eine Fußballmannschaft.

Er hat sich in einem Interview sehr kritisch über den Dirigenten Teodor Currentzis geäußert. Sie treten nicht mit ihm auf.

Das hat sich so ergeben. Das hatte terminliche Gründe.

Was halten Sie von Currentzis, seinem Ensemble MusicAeterna und dem neu gegründeten Utopia?

Utopia habe ich noch nie gehört. Musikalisch bin ich ein großer Bewunderer von MusicAeterna und dem SWR Symphonieorchester unter Teodor Currentzis. Politisch würde ich die Frage historisch beantworten wollen. Man hat immer die Wahl. Man kann Toscanini sein oder Karajan – beides außergewöhnliche Persönlichkeiten. Aber Toscanini hat, was sein Verhalten gegenüber den Nazis oder dem faschistischen Regime in Italien angeht, besser in den Spiegel schauen können. Ich ziehe es vor, mit Künstlern in Austausch zu treten, die lieber Toscanini sein wollen als Karajan. Oder anders gesagt – Opportunisten und Wendehälse sind so gar nicht mein Ding.

Wo und mit wem ist Ihr letztes Konzert?

Ein Debüt beim Orchestre National de Paris. Unter den Rolls-Royce-Orchestern auf der Welt ist es das letzte, was mir gefehlt hat. Ich spiele das Bjarnason-Konzert mit der tollen Dirigentin Elim Chan. Aufzuhören mit einem Debüt – das ist ein schöner Gedanke.

Was werden Sie direkt nach diesem Konzert tun?

Viel Bier trinken und in Paris feiern. Dann packe ich mein Schlagzeug zusammen und fahre nach Hause. Dann ist es vorbei.

Werden Sie eine Träne vergießen?

Ich bin nicht so nah am Wasser gebaut. Das wird souverän ablaufen, denke ich. Aber wer weiß das schon.

Das Gespräch führte Georg Rudiger.

Artikel 2 von 5