Die Kunst der Verschwörung

von Redaktion

PREMIERE Die Kammerspiele zeigen den schrägen, fantasievollen Abend „L7L Die Sieben Irren“

VON ALEXANDER ALTMANN

Pssst, ganz im Vertrauen gesagt: Die Verschwörer sind unter uns! Wurde nicht eben schon wieder eine Rentnergang ausgehoben, die sich verschworen hatte, die Regierung zu stürzen? Insofern ist es ein ganz heißes Eisen, und ein brandaktuelles dazu, das die Münchner Kammerspiele da furchtlos anfassen: Mit dem Projekt „L7L Die Sieben Irren“ widmen sie sich in der Therese-Giehse-Halle dem Thema Verschwörungen – die hier offenbar doch nicht bloß Hirngespinste von Verschwörungstheoretikern sind.

Wobei: Mit irgendwelchen Reichsbürgern (was immer das genau sein mag) und ähnlichen miefig-deutschen Banalitäten gibt sich das Theater zum Glück nicht ab. In den Kammerspielen müssen es schon Verschwörungs-geschichten mit internationalem und historischem Flair sein. Also beispielsweise solche, wie sie der argentinische Autor Roberto Arlt in seinem 1929 erschienenen Roman „Die sieben Irren“ erzählt, den Alejandro Tantanian (Regie) und Oria Puppo (Ausstattung und Video) für diese Uraufführung sehr frei adaptiert haben.

Das hierzulande weniger bekannte Buch gilt als Klassiker lateinamerikanischer Literatur und handelt von einer Geheimgesellschaft der Gedemütigten, einer Anarchisten-Sekte, die von „Revolution“ und „proletarischen Massen“ redet, aber auch eine Art Yoga-Tanz und mystische Einweihungsrituale praktiziert. Entsprechend stark weichen die Ansichten der Verschwörer voneinander ab, denn während der eine (Christian Löber) nihilistisch vom Verbrechen schwärmt, sieht die andere (Annette Paulmann wunderbar flirrend zwischen Ernst und Ironie) vor allem die Literatur als Werkzeug der gesellschaftlichen Veränderung.

So politisch, wie sich das anhört, ist der Abend aber keineswegs. Er kommt – auch dank Arlts farbiger Sprache – eher als poetischer Bühnenessay daher, der unter dem Motto stehen könnte: Verschwörung als schöne Kunst betrachtet. Da sieht man etwa die absichtlich ruckelige, pixelgestörte Filmprojektion eines wildromantischen Waldinneren über die Rückwand flimmern, und passend zum tiefen Tann ertönen klassische Kunstlieder aus den Lautsprechern. Ja, einmal intonieren die Akteure sogar live Gustav Mahler („Ich bin gestorben dem Weltgetümmel“) zum Klavier, das neben Stühlen und Rednerpult auf der sonst kahlen Spielfläche rumsteht. Hinten öffnet sich manchmal eine grün leuchtende Rumpelkammer, wo vermutlich das „Verdrängte“ lagert, dann wieder wallt vorne konspirativer Theaternebel. Eine langsam schreitende Prozession mönchischer Aliens mit spitzen, steifen Zipfelmützen trägt Neonröhren wie Kultobjekte herum, Menschen mit Tiermasken und Hirschgeweihen auf dem Kopf tauchen schemenhaft auf, und zwischendurch referiert Jochen Noch über den tiefen Fall des Surrealisten Paul Eluard, der zum Stalinisten wurde und aus vermeintlich edelsten Motiven schändlichste Verbrechen rechtfertigte. Rein künstlerisch ist der Abend als fantasievolle, schräge Weiterentwicklung von Traditionen anzusehen, die teilweise auf Jossi Wielers frühere Jelinek-Inszenierungen zurückgehen. Aber dass Verschwörungen hier als ästhetisches Phänomen präsentiert werden, wirkt erfrischend ungewohnt bei einem Thema, das sonst längst auf das erkenntnisferne Niveau seichter Talkshow-Phrasen abgesackt ist.

Gegen Ende zu durchdringt immer öfter ein dumpfes Dröhnen den ganzen Raum, das die Sitzreihen vibrieren lässt und dem Publikum zu Text und brüchig-schönen Bildern auch noch eine buchstäblich aufrüttelnde Körpererfahrung vermittelt. Reale wie eingebildete Verschwörungen, das spürt man hier am eigenen Leib, sind eben nur Symptom einer viel tiefer liegenden Welterschütterung, die ihre höchst diesseitig-materiellen Ursachen hat in ökonomischen Prozessen und Machtverhältnissen. Trotz vieler frei gebliebener Plätze brachte das Premierenpublikum erfreulich langen, tosenden Applaus zustande, ohne sich eigens dafür verschworen zu haben.

Weitere Aufführungen

am 10., 14., 15., 21. und 22. Dezember;

Telefon 089/23 39 66 00.

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