Nur noch kurz die Welt retten

von Redaktion

URAUFFÜHRUNG „Der Entrepreneur“ von Kevin Rittberger im Marstall

VON ULRIKE FRICK

Der Wald stirbt. Die Temperaturen steigen. „Unser aller Budget ist verbraucht“, erkennt der namenlose Unternehmer zu Beginn von Kevin Rittbergers utopischem und zugleich erschreckend realistischem und plausiblem Stück „Der Entrepreneur“. Dagegen muss etwas getan werden, und im Gegensatz zu anderen, im Drama wie im Alltag, die immer nur über gut gemeinte Pläne reden, handelt er. Umgehend und so effizient, wie er es durch die Leitung seiner international erfolgreichen Firma jahrzehntelang gewohnt war. Aus dem Konzern wird ein ökologisch motiviertes Syndikat. Familie, Kollegen, Freunde, Angestellte von einst und das Publikum im Marstall des Münchner Residenztheaters sehen die folgenden knapp zwei Stunden dabei zu.

Der Betrieb gehört ab sofort allen Mitarbeitern zu gleichen Teilen. Auch dem Chauffeur, den der Mann nicht mehr benötigt. Der Fuhrpark wird verkauft. Stattdessen fahren alle mit dem Bus und singen manchmal auf dem Hin- oder Rückweg zur Firma sogar ein munteres Liedchen. Jeder arbeitet nur noch, so viel er mag. „Pyramide Macht, du fetter alter Apfel, schmeckst uns nicht mehr“ lautet das neue Motto. Begriffe wie Achtsamkeit und Sorgekreis verdrängen die althergebrachten Hierarchien: „Keine Insel, kein Polster und kein Privileg darf uns ungesehen passieren.“

Nicht alle Figuren in Rittbergers Auftragswerk, das Nora Schlocker, Hausregisseurin am Residenztheater, zu einem kurzweiligen Abend umgesetzt hat, sind mit diesen revolutionären Ideen des ehemaligen Chefs einverstanden. Der will seinen ehemaligen Angestellten nämlich nicht nur zur gleichberechtigten Partnerschaft im Betrieb verhelfen, sondern will auch, dass sie dieselbe Verantwortung übernehmen, was plötzlich stark nach Jean-Jacques Rousseaus Naturzustand und Gemeinwillen klingt. Die um ihr Erbe geprellte Tochter und die Gattin, eine knallharte Anwältin, können mit den kühnen Weltverbesserungsträumen des Familienoberhaupts ohnehin nichts anfangen und schütteln den Kopf, wenn der nur noch weltrettenden Verzicht predigt und von „ökologischen Kipppunkten“ spricht, die längst überschritten seien.

Das bewusst karge Bühnen- und Kostümbild von Jana Findeklee und Joki Tewes deutet die Bäume im Wald (von der TU Dresden aus umweltverträglichem Pilzmyzel hergestellt) ebenso an wie die comicartig stilisierten Kleidungsstücke vom Blaumann bis zum eleganten Kleid. Das ist clever, denn es verschafft dem Ensemble viele Gelegenheiten, mit dem manchmal didaktisch holzhammerartigen, manchmal aber auch überraschend klugen Text zu glänzen. Ein gutes Beispiel ist dafür Robert Dölles Entrepreneur-Monolog gleich zu Beginn. Nur von einem Spot beleuchtet steht der Unternehmer da, dem Zusammenbruch während einer exzessiven Lockdown-Party knapp entronnen, und vermittelt die Zerrissenheit der ganzen Generation. Klar und schlicht hat Schlocker das inszeniert, und Dölles Energie reißt einen sofort mitten hinein ins Geschehen.

Warum aber alle Schauspieler alle Rollen im Wechsel spielen, erschließt sich bis zum Ende nicht so recht. Schließlich sind die Charaktere nicht nur bloße Stereotypen. Die jeweilige Interpretation, die Dölle, Nicola Kirsch, Lisa Stiegler oder Christoph Franken anfangs sehr überzeugend deutlich machen, geht über den steten Tausch der Kostüme bald verloren.

Nächste Vorstellungen

am 13., 26. Dezember sowie am 8., 24. und 26. Januar; Telefon 089/ 21 85 19 40.

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