Das Original ist manchmal eben doch immer noch das Beste. Zumindest dann, wenn es um die „West Side Story“ geht. Und so besinnt sich die neue englischsprachige Tournee-Produktion, die nun im Deutschen Theater ihre Welt-Premiere feierte, wieder ganz auf die Wurzeln des Musical-Klassikers. Dies bedeutet vor allem eine Auffrischung der ikonischen Choreografien von Broadway-Legende Jerome Robbins, die sich schon in den Silhouetten des Plakat-Motivs andeuten. Eine perfekte Symbiose aus klassischen Ballett-Elementen, Modern Dance und den lateinamerikanischen Standardtänzen. Womit das junge Ensemble auf der Bühne unterschiedlichste Facetten seines Könnens zeigen darf. Mit einer Energie und Präzision, die ihresgleichen sucht und schon während der Aufführung immer wieder für Ovationen sorgt.
Julio Monge, der in seiner aktiven Tänzerzeit noch selbst mit Robbins arbeitete, hat hier bei der Neueinstudierung wirklich einen hervorragenden Job geleistet, gönnt sich aber auch ab und zu ein paar Freiheiten, die vor allem von Wiederholungstätern im Publikum als kleine persönliche Note registriert werden dürften. Ähnlich detailverliebt die Personenführung von Regisseur Lonny Price, der dafür sorgt, dass die Spannung auch in den Dialogszenen nicht abreißt. Und selten dürfte man die erste Liebe zwischen Tony und Maria so authentisch erlebt haben. Jadon Webster und Melanie Sierra singen und spielen das tragische Paar mit jugendlicher Frische und einer fast noch kindlich anmutenden Naivität, mit der sie sich eine Welt erschaffen, in der das gemeinsame Glück tatsächlich immer wieder für kurze Momente möglich erscheint. Wäre da nicht die von Hass und Vorurteilen bestimmte Realität, die sich nach dem elegischen „One Hand, one Heart“ mit dem scharfkantigen „Tonight-Quintet“ umso härter zurückmeldet.
Große Aktualisierungen braucht es da nicht, um die leider immer noch zeitlos aktuelle Botschaft des mehr als sechs Jahrzehnte alten Stückes zu verstehen. Und so belassen Price und sein Ausstattungsteam Bernsteins Variante der klassischen Romeo-und-Julia-Geschichte klar in den späten 1950er-Jahren. Stand bei der letzten Tournee mit ihren teils stilisierten Kulissen klar der Tanz-Aspekt im Fokus, sorgen nun Ziegelwände der typischen Brownstone-Häuser für das zuweilen klaustrophobische Gefühl der New Yorker Häuserschluchten, die einen beim ersten Besuch des Big Apple gern mal erschlagen. Was hier jedoch hilft, die intimen Szenen stärker zu fokussieren, ehe sich der Raum für die nächsten Tanz-Exzesse wieder öffnet. Bühnenbildnerin Anna Louizos spielt da virtuos mit der Heile-Welt-Ästhetik der nostalgischen Werbeanzeigen, durch die sie subtile Akzente setzt. Etwa das verblasste „Welcome to New York“-Plakat im Prolog. Eine Erinnerung daran, dass der „American Dream“ im Selbstverständnis der Einwanderer-Nation USA zwar einen zentralen Mythos darstellt, sich aber bei Weitem nicht für jeden, der kommt, erfüllen muss.
Nicht gespart hat man zum Glück auch beim Orchester, das in einer für Tournee-Verhältnisse erfreulich großen Besetzung im Graben sitzt und Bernsteins Partitur unter der engagierten Leitung von Grant Sturiale nichts schuldig bleibt. Ebenso wie das auf den Punkt besetzte Ensemble. Neben dem zentralen Paar, das ohne großes Opernpathos auskommt und mit klassisch geschulten Musical-Stimmen überzeugt, muss da unbedingt noch Kyra Sorce als Anita herausgehoben werden. Sie fegt beim Ohrwurm „America“ über die Bühne als gäbe es kein Morgen, findet aber ebenso die richtigen Farben für die dramatischen Szenen des zweiten Aktes und das versöhnende Duett mit Maria, das nicht zuletzt dank ihr zu einem der intensivsten Momente dieses bewegenden Musical-Abends wird.
Weitere Vorführungen
bis 8. Januar 2023, Tickets unter 089/ 55 23 44 44.