Trotz allem

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Die „Valentiniade“ von und nach Karl Valentin am Residenztheater

VON MICHAEL SCHLEICHER

Die Fallhöhe war hoch. Mindestens so hoch wie das dreistöckige Gerüst, das Andreas Auerbach auf die Bühne des Residenztheaters gebaut hat. Wahrscheinlich aber höher. Wer sich mit Karl Valentin anlegt, den haut’s oft – und völlig zu Recht – aus der Kurve. Don’t mess with the Krischperl! Die tragische Komik und die komische Tragik im Werk des Münchner Volkssängers und Autors (1882-1948) ist heute kaum mehr ansprechend zu interpretieren, auch weil dieses Schaffen eben so eng verknüpft ist mit seinen Urhebern – vergesst bloß die Liesl Karlstadt nicht! – und deren Darbietung.

Dennoch hat sich Regisseurin Claudia Bauer zusammen mit dem Autor Michel Decar daran gewagt; ihre „Valentiniade. Sportliches Singspiel mit allen Mitteln“ wurde am Freitag uraufgeführt. Gleich vorweg: Der verklemmt-verzwungene Titel ist so ziemlich das einzig Grausame an diesem knapp zwei Stunden langen Abend, der nach der Premiere herzlich beklatscht wurde.

Bauer, die heuer für ihre Ernst-Jandl-Arbeit „humanistää!“ (Volkstheater Wien) beim Berliner Theatertreffen den 3sat-Preis erhielt, sucht in Valentins Werk nicht den schnellen Kalauer, nicht das Bonmot. Statt der nächstgelegenen Pointenausfahrt, die künstlerisch eh nur ins Fremdschämen führen würde, nimmt sie den Weg in die Tiefe von Leben und Schaffen. Das wird gleich zu Beginn klar, als auf die Bühne eine Kamerafahrt hindurch zwischen den Regalen des Penny in der Preysingstraße 42 projiziert wird. Valentin soll in jenem Haus, als dort das Kabarett „Bunter Würfel“ zu finden war, nach einem Auftritt vergessen und über Nacht eingeschlossen worden sein. Kurz darauf starb er an einer Lungenentzündung, die er sich wohl in den unbeheizten Räumen geholt hat. Bonjour tristesse.

Decar, der in seinem Romandebüt „Tausend deutsche Diskotheken“ gezeigt hat, wie gern und komisch er fabuliert, und dessen Stück „Philipp Lahm“, das einiges über Deutschland und wenig über Fußball erzählt, 2017 ebenfalls am Staatsschauspiel uraufgeführt wurde, unterstützt die Regisseurin bei ihrer Bohrung in existenzielle Schichten: Der gebürtige Augsburger hat Texte von Valentin und Karlstadt – darunter „Der Flug zum Mond“, „Der Bittsteller“, das herrliche „Klagelied einer Wirtshaussemmel“ und, natürlich, die „Orchesterprobe“ – sehr geschickt verwoben. Er hat zudem eigene Monologe geschrieben, die Valentins („unser liebster Stadtneurotiker“, wie Decar ihn nennt) Selbstreflexionen sein könnten: zaudernd, zögernd, ängstlich, einsam – und doch immer wieder trotzig und kämpferisch. „Ich existiere ja nur, um den Untergang zu vermeiden. Nur damit ich nicht sterbe, leb ich.“ Nicht grundlos sind das die ersten Sätze, die hier auf der Bühne gesprochen werden.

Damit ist der Ton gesetzt für eine Revue, die sich angenehm Zeit lässt, um die Szenen zu entwickeln und wirken zu lassen. Das Ensemble – von Patricia Talacko als Valentin-Doppelgänger ausstaffiert – geht spielfreudig und stimmstark diesen Weg mit. Der „Flug zum Mond“ mag zwar kompliziert sein, (fast) alles andere glückt der Truppe jedoch. Die acht Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen obendrein durch Körperlichkeit (die Valentin selbst sehr bewusst einsetzte) und in den Gesangsparts: Der Komponist und Pianist Michael Gumpinger hat Valentin-Zeilen und Decar-Texte als Couplets vertont, die er mit Leo Gmelch (Tuba/Bassposaune) und Schlagzeuger David Paetsch live interpretiert: jazzig, poppig, angeschrägt. Oft alles zusammen wie im Eröffnungssong „Gucci, Gucci, Leberkäs al dente“. So ist ein wunderbarer Abend entstanden, der das „Trotz allem“ feiert. Und das ist derzeit nicht die schlechteste Haltung.

Nächste Vorstellungen

am 27. Dezember sowie am 1., 8. und 21. Januar; Telefon 089/ 21 85 19 40.

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