Eine Frau bandelt mit dem Bruder ihres Ehemannes an, was tödliche Katastrophen heraufbeschwört: Perfekteres Futter für einen Opernstoff lässt sich ja kaum finden. Trotzdem musste „Francesca da Rimini“ 200 Jahre lang auf die Uraufführung warten – erst 2016 wurde der Zweiakter von Saverio Mercadante (1795-1870) im italienischen Martina Franca herausgebracht. Wer sich von der Qualität der blutigen Tragödie überzeugen will, muss nur bis ins Inntal fahren: Die Tiroler Festspiele in Erl bringen „Francesca da Rimini“ als eine von zwei Opernproduktionen während der Winter-Saison heraus, Premiere ist am 28. Dezember.
Tags zuvor gibt es mit Donizettis „Don Pasquale“ einen alten Bekannten, und das ist mittlerweile das typische Programm von Bernd Loebe, quasi ewiger Intendant der Frankfurter Oper und seit 2019 auch im Erler Chefsessel. Im vergangenen Sommer hat Loebe, der gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, die Erler Besucherinnen und Besucher mit „König Arthur“ von Chausson positiv überrascht – auch wenn die Oper kein Kassenknüller war. Ob Loebe wegen seiner ungewöhnlichen Werk-Wahl vom Finanzier, dem Festspielpräsidenten Hans-Peter Haselsteiner, Druck bekommt? „Er stimmt mit mir darin überein, dass Erl verloren gehen würde, wenn wir zwischen München, Salzburg und Innsbruck dasselbe machen würden wie die Kollegen“, sagt Loebe. „Damit würde Erl jeglichen Anreiz verlieren. In einem Winter ,La bohème‘, im nächsten ,La traviata‘, das ginge schon – aber dann würde mich Erl nicht interessieren.“
In diesem Winter bietet Loebe neben den beiden Opern unter anderem ein Silvester- und ein Neujahrskonzert, ein Gastspiel der Musikbanda Franui und „Die Fledermaus“ in einer Familienfassung. „Geld bis zum Abwinken“, wie es Loebe formuliert, stehe ihm für all das nicht zur Verfügung. 7,3 Millionen Euro pro Jahr, da seien zwei Premieren im Winter schon „eine Gratwanderung“.
Der Übergang vom Erler Gründungsmann, dem aufgrund von #MeeToo-Vorwürfen in die Wüste gejagten Gustav Kuhn, ist mittlerweile vollzogen. Bis auf einige Kuhn-Jünger, die empört fernbleiben, spiele Kuhn „überhaupt keine Rolle mehr“, sagt Loebe. Chor und Orchester seien sogar froh, dass verschiedene Dirigenten am Pult stehen „und die daher auch mal was anderes erleben“.
Bei der bevorstehenden Wintersaison, die am zweiten Weihnachtsfeiertag mit Bachs Weihnachtsoratorium beginnt, muss sich Loebe um die Auslastung der Konzerte keine Sorgen machen. Die Opernvorstellungen, das gibt er zu, hinkten etwas hinterher. Loebe erklärt sich das nicht nur mit dem Rand-Repertoire, sondern auch mit den Preisen. Bis zu 150 Euro, das hält der Intendant für arg teuer. Kurz nach Weihnachten möchte er daher mit Hans-Peter Haselsteiner reden, ob man an der Preis-Struktur nicht etwas ändern könnte.
Was die Nachfrage auch bei Programmen abseits der Hits angeht, gibt sich Loebe zuversichtlich: „Das, was in Frankfurt selbstverständlich ist, nachdem man über Jahrzehnte Vertrauen erworben hat und Publikum gewonnen hat, kann man in Erl innerhalb von zwei, drei Jahren inklusive Corona-Problematik und steigenden Energiekosten nicht schaffen.“
Was ihm derzeit hilft: Mit der Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“, dem einstigen Gründungsstück der Festspiele, ist Loebe ein Coup gelungen. Im Sommer 2023 wird sich die Tetralogie in der allseits hochgelobten Inszenierung von Brigitte Fassbaender mit „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ runden. 2024 gibt es zyklische Aufführungen, 2025 wegen der Passionsspiele in Erl ein reduziertes Programm. Für 2026 denkt Loebe an eine weitere Wagner-Premiere – und als Kontrastmittel an ein Stück von Meyerbeer. Von jenem Komponisten also, den Wagner niedermachte und doch heimlich verehrte – und ihm auch nacheiferte.
Was bedeutet: Das Erler Kapitel ist für Loebe längst nicht abgeschlossen. Bis 2025 steht er dort unter Vertrag. Ein Weitermachen kann er sich schon vorstellen. Allerdings nur im Duo mit dem früheren Strabag-Chef Hans-Peter Haselsteiner. „Ich versuche ihn zu überreden, dass er als Präsident weitermacht.“
Informationen
zum Programm und zum Vorverkauf unter
www.tiroler-festspiele.at.