Lieder fürs Leben

von Redaktion

Der Chansonnier Reinhard Mey wird heute 80 Jahre alt – Vorbild für Generationen

VON RUDOLF OGIERMANN

Als Revoluzzer, als radikalen Pazifisten in der Tradition der Achtundsechziger wie Hannes Wader oder Konstantin Wecker würde man ihn sicher nicht bezeichnen, und doch wird Reinhard Mey im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg seit einiger Zeit immer wieder zitiert. „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“ hat der Liedermacher bereits 1986, noch während des Kalten Krieges geschrieben. Im Frühjahr gehörte Mey außerdem zu den Erstunterzeichnern eines Briefes an Bundeskanzler Olaf Scholz, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, keine Waffen ins Kriegsgebiet zu liefern. Vielleicht ist seine eigene Erinnerung an das zerbombte Berlin, in das er am 21. Dezember 1942 hineingeboren wurde, der Grund für diese Haltung. Heute wird Mey, mit hunderten von Titeln einer der produktivsten deutschen Liedermacher, 80 Jahre alt.

Der Sohn eines Rechtsanwalts und einer Lehrerin bekam mit 14 seine erste Gitarre, und spielte schon als Schüler in einer Band, dennoch absolvierte er nach dem Abitur erst eine Lehre zum Industriekaufmann und begann sogar ein Studium der Betriebswirtschaft, bevor er sich ganz der Musik widmete. Sein erstes Chanson, „Ich wollte wie Orpheus singen“, erschien im Jahr 1964, wie viele andere trat Mey auf dem legendären Festival auf Burg Waldeck (Rheinland-Pfalz) auf, dennoch blieb er jahrelang ein Geheimtipp, sang und spielte in Kellerkneipen. Erst Anfang der Siebzigerjahre kam der Durchbruch, fortan füllte der Mann mit der Nickelbrille die größten Hallen. Durch seine Art, Text und Musik zu präsentieren, eins zu werden mit seinem Instrument, wurde er zum Vorbild für Generationen von Liedermachern.

Sang er zunächst vor allem hochpoetische Lieder über Liebe und Liebesleid („Wie vor Jahr und Tag“, „Seifenblasen“), widmete er sich später verstärkt humorigen bis satirischen Betrachtungen des (eigenen) Lebens, der Gesellschaft und der Politik („Diplomatenjagd“, „Was kann schöner sein auf Erden als Politiker zu werden?“, „Die heiße Schlacht am kalten Buffet“). Einige seiner Liedtitel wurden zu geflügelten Worten („Der Mörder ist immer der Gärtner“), Songs wie „Über den Wolken“, in dem auch seine Leidenschaft für die Fliegerei zum Ausdruck kommt, oder „Gute Nacht, Freunde“ wurden zu Evergreens. Nach der Geburt seiner Kinder erweiterte er sein Repertoire um Titel wie „Keine ruhige Minute“ und „Menschenjunges“. Bis heute erschienen 28 Studio- und 18 Live-Alben, auch in Frankreich und in den Niederlanden feierte er große Erfolge.

Obwohl sich Mey in seinen wortgewaltigen, gern virtuos vorgetragenen Texten oft dezidiert politisch oder gesellschaftskritisch äußert, warfen ihm Kritiker seit Mitte der Siebzigerjahre einen „Hang zur Idylle“ vor, nannten ihn einen „Schnurrenerzähler“. Das Lied „Annabelle“ (1972) über die Karikatur einer humorlosen „Emanze“ brachte ihm sogar den Vorwurf der „Hexenjagd“ ein, auch das Spottlied „Zwei Hühner auf dem Weg nach vorgestern“ über experimentelles Theater nahm man ihm übel. Mit Blick auf seine Kritiker formulierte Mey später: „Wenn man 1971 eine goldene Schallplatte bekam, war eben klar, dass man nur ein kommerzielles Schwein sein konnte“. Für „Annabelle“ schrieb er 1998 mit „Der Biker“ eine Art Entschuldigungssong: „Deine Ideale, will mir heute scheinen, waren gar nicht so weit weg von meinen.“

Privat blieb der Liedermacher, der seit 1977 in zweiter Ehe verheiratet ist, von Schicksalsschlägen nicht verschont. Sein mittlerer Sohn Maximilian starb 2014 im Alter von nur 32 Jahren.

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