Mal Feuerwerker, mal Feinmechaniker

von Redaktion

CD-KRITIK Javier Camarena und seine erstaunliche Donizetti-Erkundung mit „Signor Gaetano“

VON MARKUS THIEL

Wer will, kann von ihm lernen. Fast privat, per YouTube. Drei bis vier Jahre alt sind die Filmchen, mit denen Javier Camarena Gesangstechnik vorführt. Wie das beste Aufwärmen funktioniert, wie Tenöre über die heikle Region in der oberen Mittellage, das Passaggio, kommen. Und manchmal werden auch Fragen der Fans beantwortet. Das ist zwar alles auf Spanisch, man bleibt aber auch bei Mini-Sprachkenntnissen dran, weil hier ein Könner hinter die Kulissen, vielmehr hinter das Zäpfchen seiner Kehle blicken lässt.

Die Ergebnisse dieser Anstrengungen gab und gibt es auf internationalen Opernbühnen zu bestaunen. Und auch auf dieser CD, mit der sich Camarena ausschließlich Opern Donizettis widmet und die – wie eine Verbeugung vor dem Meister aus Bergamo – „Signor Gaetano“ betitelt ist.

Neu ist die orchestrale Begleitung. Wie bei Harnoncourt und der Vorklassik gibt man sich „historisch informiert“. Auch weil die Orchester und Pultstars das – vorgeblich leicht zu spielende – Repertoire gern auf die leichte Schulter nehmen und Opernabende im gefälligen Humtata abschnurren lassen. Dirigent Riccardo Frizza, längst mit Donizetti, Rossini und Bellini vertraut, und das Orchester Gli Originali machen sich nun auf zur neuen Klangerkundung samt Partitur-Durchlüftung. Das ist der eine Aspekt der CD. Der andere: Camarena wagt sich in Randzonen des Meisters vor. Zu seiner tragischen Dogen-Oper „Marino Faliero“ etwa, zum blutigen Eifersuchtsdrama „Maria de Rudenz“ oder zur Molière-Farce „Il giovedì grasso“ – um Stimmschlürfern mit Hits aus „Don Pasquale“ oder „L’elisir d’amore“ zwischendurch Vertrautes zu gönnen.

Dass sich Camarena nie mit Dramatischerem belastete, kommt der CD zugute. Sein Tenor verfügt inzwischen über mehr Nachdruck und Vehemenz, hat aber so gut wie nichts an Flexibilität eingebüßt. Immer ist da ein sehr energiereicher, jedoch leicht formbarer Klang. Man spürt, gerade in der lustvollen Jonglage mit Spitzentönen, dass sich Camarena seiner Technik sehr sicher sein kann.

Es gibt Momente, gleich in der Eröffnungsnummer aus „Betly“, in der er den Zärtelsound seiner Stimme ausspielt. Zugleich ist da genug Potenz und Stabilität für die kriegerische Cabaletta aus „Caterino Cornaro“. Als Feuerwerker mag der Mexikaner da abräumen. Doch manchmal beeindruckt fast noch mehr, wie er seine unverspannte, um feine Verzierungen angereicherte Mezzavoce einsetzt zum Beispiel im „A te dirò“ aus „Roberto Devereux“. Auf aparte Weise reibt sich Camarena dabei mit dem Dirigenten. Die überlang ausgekosteten Fermaten in fast jeder Nummer sind ganz alte, klassische Tenor-Schule. Während Frizza also lichtet, die musikalische Grammatik erforscht und als Feinmechaniker unterwegs ist, lebt Camarena mit natürlicher Musikalität seine Rollen aus. Puristen mögen das als Stilbruch geißeln. Kulinariker haben einfach nur Spaß.

„Signor Gaetano“

mit Javier Camarena, Gli Originali und Riccardo Frizza (Pentatone).

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