Gerd Baumann, 1967 in Forchheim geboren, gehört zu den Menschen, die aus einem Tag mehr Stunden herausholen können als andere. Anders lässt es sich nicht erklären, wie der Musiker und Professor an der Münchner Musikhochschule so viele Projekte unter einen Hut bekommt. Er schrieb Opern, Theatermusik für die Schauburg und das Volkstheater, Filmmusik vor allem für Marcus H. Rosenmüller, war Produzent für Konstantin Wecker, betreibt seine Band Parade, die im Februar ein Album rausbringt, und veröffentlichte gerade das Album „Plié“, das er mit der Band Dreiviertelblut am 30. Dezember in der Alten Kongresshalle vorstellt.
Das neue Album hat wieder eine dunklere Stimmung. Wie sind die Stücke entstanden?
Es gibt ein paar Nummern, die schon länger auf ihre Geburt gewartet haben, und einige, die mir persönlich sehr am Herzen lagen. Das „Lied vom unbekannten Soldaten“ etwa, das aus einer Trauerstimmung entstanden ist. Das war noch weit vor dem Ukraine-Krieg: eine Fassungslosigkeit darüber, dass es nie aufhört, dass sich Menschen gegenseitig niedermetzeln. Andere Stücke entstanden in klassischer und sehr schöner Zusammenarbeit mit Sebastian Horn. Da gibt es Text- und Musikfragmente, wir treffen uns dann und finden so eine Schnittmenge.
Die einzelnen Musiker scheinen bei den neuen Songs mehr Raum zu erhalten.
Wir haben ja nicht die landläufigste Besetzung. Zwei Gitarristen, Bass, Schlagzeug, alles normal, doch dann zwei Bläser, und zwar Bassklarinette und Trompete. Ich musste ein wenig üben, wie man für diese Besetzung schreibt. Da entsteht schon sehr viel vor der ersten Probe, und dann kommt noch der starke Input von der Band.
Ist es insofern mehr ein Bandalbum als die Vorgänger?
Es ist ein totales Geschenk, wenn du eine funktionierende Band hast, in der sich alle menschlich gut verstehen, musikalisch aufeinander stehen und in der auch noch solche Hochkaräter dabei sind. Ich kann einfach alles schreiben. So schwierig muss das erst einmal sein, dass die sagen „Geht nicht“.
Eure Lieder sind stets ein wenig schräg. Warnt manchmal einer: Jetzt wird es zu geradlinig?
Das bin ich schon selbst. Der „Sonne Song“ für die BR- Sternstunden zum Beispiel ist an der Grenze. Das ist ein sehr schöner Song mit schöner Entstehungsgeschichte: Sebastian Horns Mutter schickt mir einmal im Jahr Shortbread-Plätzchen. Als wir gerade nach einem Text für den Song suchten, kam ihr Geschenk mit einer Karte und dem Sprichwort: „Dreh dich zur Sonne hin, dann liegt der Schatten hinter dir.“ Gerade in einer Zeit, in der wir alle viel Gewicht auf den Schultern haben, war das ein schöner Aufhänger für eine positive Message, bei der wir uns nicht total verbiegen müssen.
Und umgekehrt: Gibt es ein Korrektiv, wenn Ihr zu negativ seid?
Selbst beim „Lied vom unbekannten Soldaten“ ist ein gewisser Sarkasmus dabei aus der Sicht eines Toten: Der andere hat mich erschossen, jetzt ist er selbst hin. Ganz allgemein ist der Gradmesser das Publikum. Wir merken, dass es schwierige Nummern gibt wie etwa „Maria Elend“ auf dem vorherigen Album, bei der Jelena Kuljic von den Kammerspielen schreit. Das ist eigentlich eine meiner Lieblingsnummern von Dreiviertelblut, aber sie ist kaum zumutbar.
Steigt da das Publikum aus?
Ich weiß nicht. Vielleicht müssen eher wir mehr reifen als Band: dass man sich so etwas wirklich zutraut und das Publikum mit auf die Reise nimmt. Die Nummer muss mit allerhöchster Intensität gespielt werden. Sie ist aber kein Stück, auf das man sich unbedingt freut. Das ist schon starker Tobak.
Eigentlich seltsam, dass man Euch gar nicht so sehr als politisch agierende Band betrachtet. Es gibt doch viele Texte gegen Krieg, Fremdenhass, gegen das Sägen am Ast, auf dem man sitzt…
Ich finde sogar, dass es gar nicht möglich ist, politische Statements zu vermeiden. Wenn wir die ganze Zeit über Gänseblümchen und Verliebtsein singen würden, dann wäre das auch eine politische Aussage. Nämlich, dass uns alles andere egal ist. Politische Botschaften müssen nicht unbedingt nur über Worte verbreitet werden. Es dreht sich auch um ein bestimmtes Gemeinschaftsgefühl, das man anstrebt.
Letztlich entstand die Band durchs Publikum.
Dreiviertelblut würde es gar nicht geben ohne die Dynamik des Anfangs. Eine Band war eigentlich nie geplant, nur die Musik zu einem Fernsehfilm. Dann haben wir nur zum Spaß in Wackersberg in einer Wirtschaft gespielt. Das war ziemlich irre, weil viele die Lieder vom Film kannten. Manche haben sogar geweint bei den Songs. Dann hört man das selbst ganz anders.
Wie kam es eigentlich zu Ihrem eigenwilligen Kompositionsstil?
So schreibe ich halt Lieder. (Lacht.) Ich komponiere, seitdem ich 15 bin. Am Anfang Lieder für die Schülerband. Dann habe ich angefangen, Jazz zu studieren, aber gemerkt, dass ich Komponist werden will mit einem Auge auf Filmmusik. Durch die Begegnung mit Regisseur Marcus H. Rosenmüller hat sich alles geändert. Er brauchte für „Wer früher stirbt“ Songs. Das war der zündende Moment. Seitdem habe ich bei jedem Film, zu dem ich die Musik schreibe, gefragt, ob es auch ein paar Lieder braucht.
Das Gespräch führte Antonio Seidemann.
Konzert
am 30. Dezember in der Alten Kongresshalle; Telefon 089/ 54 81 81 81.