Traumrolle Macho

von Redaktion

PREMIERE Donizettis „Don Pasquale“ bei den Tiroler Festspielen in Erl

Der Onkel, wahlweise Opa an der Familientafel, dauerwitzelnd, dabei am dröhnendsten über die eigenen (Nicht-) Pointen lachend – auch so ein Weihnachtstrauma ist das. Humor im heißlaufenden Leerlauf, bis zur zur chronischen Krankheit kann sich das steigern. Auch übrigens auf der Bühne, wo in komischen Opern dann alles zur Karikaturen-Parade missrät. Doch wie den Dampf rausnehmen? Wie den Schenkelklopfern entgehen?

Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ scheint da besonders gefährdet. Auch deshalb ist es prinzipiell gut, was Caterina Panti Liberovici zu diesem Zweieinhalbstünder ergrübelt hat. Eigentlich sollte ihre Inszenierung 2020 in Frankfurt herauskommen. Corona war schuld daran, dass alles nach der Generalprobe gekippt werden musste. Nun also die verspätete Premiere in Erl zum Beginn der Tiroler Festspiele, die ja dank Doppel-Intendant Bernd Loebe als Außenstelle Frankfurts fungieren.

Mit einer Belcanto-Oper beim Winter-Durchgang bleibt Loebe dem Konzept seines Vorgängers Gustav Kuhn treu: Im Sommer Schwergewichte, vorzugsweise Wagner, um den Jahreswechsel herum dagegen Moussierendes für Stimmschlürfer. Auch wenn sich das noch herumsprechen muss, bei der Premiere bleiben einige Plätze frei.

Ist’s Wahrheit? Ist’s ein Traum? Oder vielleicht alles früher mal passiert? Die italienische Regisseurin lässt im Festspielhaus vieles offen. Das üble Spiel um Pasquale könnte auch eine Imagination des Titelhelden sein – oder späte Verdrängungsaktion. Ein Schwerenöter, der im Rentenalter heiraten will, um Neffe Ernesto zu enterben und sich die hübsche Norina anlacht – weit vor #MeToo werden da Männlichkeitsrituale aufgespießt. Die Braut, die ihm sein Hausarzt Malatesta offeriert, entpuppt sich als Furie und ist keine andere als Ernestos Verlobte – eine Rache-Aktion, die wie damals üblich ins Happy End mündet. Andere hätten danach Sitzungen beim Therapeuten gebucht.

In Erl wird das zur wundersamen, wunderlichen Verquickung von dunkler Beschwörung der Commedia dell’arte, Traum und Theater auf dem Theater auf dem Theater. Im feuchten, rissigen Palazzo, den Sergio Mariotti entworfen hat, formiert sich alles zum Untotentanz. Die Handlung betrifft das, aber auch das ganze Stück: Mit dem 1843 uraufgeführten „Don Pasquale“ feierte Donizetti schließlich ein Genre, das aus der Mode kam – nicht nur Mozart hatte bewiesen, dass tief lotende Komödien gehaltvoller und menschelnder sind als die Flachreliefs der alten Buffa-Werke.

Caterina Panti Liberovici bedient diese verschiedenen Ebenen mit feiner Personenführung. Nie wird draufgedrückt, keine Pointe wird beifallheischend ausgestellt. Doktor Malatesta ist hier nicht nur Harlekin, sondern auch dunkler Jenseitsbote in Leder. Und Pasquale, eine Art Einstein im Schlafrock, kehrt immer wieder in sein Bett zurück, das sich geheimnisvoll aus der linken Wand hinaus- und hineinbewegt. Man spürt, dass Donato Di Stefano, ganz versierter Bass-Komiker und Parlando-Virtuose, die Rolle mehr unter Dampf setzen könnte. Doch Florett statt Keule tut nicht nur der Titelpartie gut. Danylo Matviienko führt mit gut gehärtetem, flexiblen Bariton einen fast mephistophelischen Malatesta vor. Bianca Tognocchi ist nicht soubrettige Zwitschermaus, sondern gibt ihrer Norina mit gehalt- und kraftvollem Sopran Tiefenschärfe. Brayan Avila Martinez als Ernesto zeigt sich als Stilist mit angezogener Handbremse, offenbar ist eine Indisposition im Spiel.

Ganz folgerichtig lässt es Dirigent Giuliano Carella mit dem Festspielorchester nicht knallen. Saftiges und Substanzreiches hört man – und vermisst dann doch jenes Funkeln, auch die Zuspitzungen und instrumentale Frechheiten, die zu Donizetti gehören. Nicht alles ist hier dem Dirigat anzulasten: Die hallige Akustik des Hauses zwingt zu musikalischen Kompromissen.

So sehr spürbar und plausibel wird, worauf die Regie zielt: Der Abend hebt nicht ab. Nur selten wird gelacht, allenfalls kommt’s zu Schmunzel-Momenten. Was zur Frage führt, ob man „Don Pasquale“ mit diesem Konzept nicht überfordert – und dort Mozart-Zauber verbreiten will, wo „nur“ Donizetti draufsteht.

Weitere Vorstellungen

am 4. und 6. Januar; Informationen zum weiteren Programm der Tiroler Festspiele und zum Vorverkauf unter tiroler-festspiele.at.

Artikel 2 von 7