Auf die Freiheit!

von Redaktion

PORTRÄT Flüchtling, Musiker, Netzwerker: Leslie Mandoki feiert seinen 70. Geburtstag

VON MEYEL LÖNING

Drei Tage lang liegen Leslie Mandoki und zwei Freunde im August 1975 bei ihrer Flucht aus Ungarn vor dem Karawankentunnel auf der Lauer. Als Anhänger der studentischen Opposition werden sie in der kommunistischen Diktatur verfolgt. Als die Wächter eine Runde Karten spielen, rennen die Musiker los. „Wir hatten Todesangst“, erinnert sich der Erfolgsproduzent, damals 22 Jahre alt, heute daran zurück. „Wir hätten erschossen oder von der Eisenbahn überrollt werden können, aber die Sehnsucht nach Freiheit war stärker.“ Die Flucht gelingt. Mit dem Nötigsten in der Tasche – zudem Notenhefte und die Kamera seines verstorbenen Vaters – erreicht Mandoki schließlich über Österreich als Flüchtling das Zentrallager für Asylbewerber im bayerischen Zirndorf.

Im vergangenen Dezember bereitet Mandoki seinen 70. Geburtstag an diesem Samstag vor, neben einer Feier gibt es ein Festtagsbuch mit Bildern seiner Karriere. Es sind Bilder seiner Arbeit mit Stars wie Lionel Richie und Phil Collins, mit Konzernen wie Disney und Volkswagen oder mit dem FC Bayern. Auf anderen Bildern ist er etwa mit Angela Merkel, Michail Gorbatschow oder Hans-Dietrich Genscher zu sehen. Der gebürtige Budapester gilt als exzellenter Netzwerker: Regelmäßig tauscht er sich mit Größen aus Politik und Gesellschaft aus. Sein Red Rock Studio feiert heuer 40-jähriges Bestehen, liegt malerisch in Tutzing am Starnberger See. Freunde nennen Mandoki die europäische Version des „American Dream“. Wie hat er das geschafft?

„Ich hatte mich sofort in Deutschland verliebt – in die Mentalität, in die Kultur und in die Menschen. Ich wollte unbedingt ein Teil davon werden“, sagt Mandoki. „Damals gab es noch keine Integrationskurse oder eine bestimmte Willkommenskultur – aber das war gut so. Ich bekam etwas anderes, was viel wertvoller war: eine Chance, mein Leben zu gestalten. Es hieß: Wenn du dich einbringst, kannst du hier deinen eigenen Weg gehen.“ Zehn Tage nach seinem Asylantrag fängt er als Schlagzeuger im schwäbischen Landestheater an. Morgens setzt er sich täglich mit zwei Zeitungen und einem Wörterbuch an einen Tisch. „Das war mein Sprachkurs“, sagt Mandoki lachend. Schnell versucht er, mit Hilfe seines ersten Mentors Klaus Doldinger und von Udo Lindenberg, mit dem er sich anfreundet, als Musiker Fuß zu fassen und Progressive Rock zu spielen. Doch es kommt (zunächst) anders. Denn nach der Anfrage des Labels von Musikproduzent Ralph Siegel singt und tanzt er plötzlich in der Disco-Show-Band Dschinghis Khan vor einem Millionenpublikum den gleichnamigen Hit. „Eigentlich wollte ich da gar nicht mitmachen, weil ich nicht tanzen und noch nicht so gut Deutsch konnte“, sagt Mandoki. Dschinghis Khan belegt 1979 Platz 4 beim Grand Prix. Schon damals sein Markenzeichen auf der Bühne: die langen Haare und der Schnauzbart.

Mandoki nutzt den unverhofften Erfolg als Sprungbrett, um im eigenen Studio seine Karriere als Musikproduzent zu gestalten – mit großem Erfolg. Seine Flucht- und Integrationsgeschichte prägt ihn als Musiker und Netzwerker bis heute. Er begreift sich als „renitenter Rebell“, der auf Missstände hinweisen und mit Liedern Brücken bauen will. „Der Mauerfall ist der größte Glücksfall der Geschichte“, sagt er. Danach habe seine Generation versagt. „Wir waren wie berauscht davon, dass uns die friedliche Revolution gelungen war. Anschließend haben wir viele Fehler gemacht.“ Oft diskutiert er mit seinen Kindern Lara, Julia und Gabor über die heutigen globalen Herausforderungen. Klimawandel, Finanz- und Wirtschaftskrise, Migration, Integration – „und jetzt auch noch dieser brutale, verdammte Krieg“, sagt Mandoki. „Wir werden diese Herausforderungen nur bewältigen, wenn Achtsamkeit wieder zu unserem Leitmotiv wird.“ Er selbst könne dafür „Lieder schreiben, singen und Charity-Konzerte geben“ – am liebsten mit seinem Herzensprojekt, den Mandoki Soulmates. Los ging es vor ziemlich genau 30 Jahren – dieses Jubiläum ist Mandoki viel wichtiger als das eigene – mit dem 2014 gestorbenen Cream-Bassisten Jack Bruce, dem Gitarrenvirtuosen Al Di Meola und Jethro-Tull-Chef Ian Anderson. Mittlerweile sind neben vielen anderen ausgezeichneten Musikern etwa auch Trompeter Till Brönner und Mandokis Tutzinger Nachbar Peter Maffay dabei. Die Soulmates eint die Vision einer generationsgerechten und achtsamen Gesellschaft. „Es ist, als hätte Leslie einen großen Regenschirm, unter dem er uns alle vereint – und da ist es schön“, sagt etwa John Helliwell von Supertramp über das Band-Projekt, das bereits 15 Alben herausgebracht hat. Und Brönner ergänzt: „Leslie infiziert alle um sich herum auf die beste Weise. Ich möchte in seinem Alter so sein wie er.“

Er habe volle Energie und viele Pläne, sagt Mandoki. Seinen runden Geburtstag nimmt er sportlich – auch nach den weisen Worten seines Weggefährten. „Als Udo Lindenberg seinen 70. Geburtstag feierte, sagte er zu mir: Es ist ganz schön bescheuert, 70 zu werden, aber die Alternative, nicht 70 zu werden, ist viel schlimmer.“ Udo Lindenberg hinterlässt übrigens im Festtagsbuch auch einen Gruß: „Leslie, geil, dass wir dich haben! Keine Panik“, schreibt er. „Und gut, dass du damals durch den Tunnel da durchgekommen bist.“

Artikel 5 von 11