Warum man sich die alten Schinken anschauen sollte? Weil es eben keine alten Schinken sind. Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, stellt Kunststudierenden immer diese eine Frage: Warum sollte man auch heute noch den Blick richten auf Werke, die vor hunderten von Jahren entstanden sind? Die Antwort findet, wer selbst genau hinschaut. Gute Kunst erzählt uns vom Menschsein. Von den Kämpfen, die wir Generation für Generation mit uns und der Welt ausfechten. Sie kann Trost schenken und Freude, Sehnsucht wecken, irritieren, überwältigen, in welcher Form auch immer: berühren.
Und deshalb ist es so schade, dass es vielen Menschen an einem freien Nachmittag nicht in den Sinn kommt, einmal in die großartigen Museen wie die Alte Pinakothek zu schlendern (Maaz: „Wir können es, was die Malerei angeht, mit dem Louvre aufnehmen.“). Gerade in Bayern haben ja viele in den Corona-Jahren das Glück (wieder-)entdeckt, das einen beim Wandern in der Natur ergreifen kann. Ein Jammer, dass die Lust am Wandern in die Kunsthäuser dafür ein bisschen abhandengekommen ist.
Wobei Maaz gestern bei der Jahrespressekonferenz eine ganz gute Bilanz zieht. Mit Blick auf die Besucherzahlen in Alter Pinakothek, Pinakothek der Moderne, Museum Brandhorst, Sammlung Schack sei man zwar noch nicht wieder auf Vor-Pandemie-Niveau, doch immerhin je nach Haus bei 60 bis 80 Prozent der Besucherzahlen 2019. Vor allem der interkontinentale Tourismus sei noch nicht wieder in einstiger Stärke zurück.
Was dagegen tun?, möchte eine Journalistin wissen. Völlig logisch: „Weitermachen.“ Sagt der Generaldirektor – und kündigt zwei Termine an, die Kunstfreunde sich in ihrem Jahreskalender notieren dürfen. Der erste ist noch etwas grob umfasst: Im Frühsommer soll die Staatsgalerie in Aschaffenburg nach jahrelanger Sanierung wieder zugänglich sein. Und konkreter: Am 27. Oktober eröffnet die Ausstellung „Colore e sentimento“. Denn voll Farbigkeit und Gefühl sind die venezianischen Malereien aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die es dann in der Alten Pinakothek zu sehen gibt. Meisterwerke von Tizian (um 1488-1576) bis Lorenzo Lotto (1480-1556). Alte Meister – und doch nicht veraltet. Warum anschauen? „Weil diese Werke uns humanistische Werte vermitteln.“
Damit die Bilder die Ausstellungsräume bei Ende der Schau im Februar 2024 wieder unversehrt verlassen, setzt das Haus auf ein erhöhtes Sicherheitskonzept, wie andere Museen auch (s. Kasten). Die Ausstattung des Personals wurde heutigen Gefahrenlagen angepasst. Stichwort: Klimaaktivisten. Maaz: „Die Lösungsmittel stehen jederzeit parat.“ Soll heißen: Würde es einem Besucher gelingen, sich an einem der Bilder festzukleben, ist das Aufsichtspersonal schnell mit der im wahren Sinne des Wortes passenden Lösung zur Stelle.
Auch dies übrigens bedauerlich: Dass die Politik erst durch Krisen wie die Pandemie oder den Klimawandel auf die Lage der Kultur zu sprechen kommt. An welch untergeordneter Stelle die Kunst aber weiterhin in der Prioritätenliste der politischen Entscheider steht, zeigen die Lehrpläne an den Schulen. Die Staatsgemäldesammlungen haben sich die Kunstvermittlung seit Jahren auf die Fahnen geschrieben. In der Alten Pinakothek wurde dafür unlängst gar ein eigener Raum inmitten der Dauerausstellung (!) eingerichtet. Das Geld reicht trotzdem nur für 1,5 Stellen in der Kunstvermittlung. Und wenn Lehrer mit ihren Klassen ins Haus kommen wollen? Steht ihnen das jederzeit offen – allein, wie sollen die Pädagogen einen Ausflug ins Museum zeitlich hinbekommen, wenn für Kunstunterricht in der Woche nur ein, zwei Stunden eingeplant sind? „Wir benötigen einen festen Museumstag im Schuljahr“, fordert Maaz. Denn so etwas Herrliches wie ein Besuch der Kunsthäuser kann für junge Leute ja nur zur Normalität werden, wenn sie ganz selbstverständlich damit groß werden. Und am eigenen Leib erfahren, wie viel Spaß es macht, mit den eigenen Augen in den Schatzkästchen zu graben, die da vor unser aller Türen stehen. Mitten in München und Bayern. Angefüllt mit funkelnden Kunstwerken, die uns so viel erzählen können. Schauen wir hin.