Beleidigen, bloßstellen, mit Giftzahn-Lust den anderen niederbeißen – es ist ein Großkampf mit den schärfsten Attacken. Gemüt, Seele, Selbstbewusstsein müss(t)en dabei unweigerlich japsend auf dem Wohnzimmerteppich verenden. Nicht so im Falle von Emily und Henry, Bühnen- und Film-Altstars aus der Feder von Folker Bohnet und Alexander Alexy. Ihre Protagonisten, verbal voll durchtrainiert, warten hier in nervlicher Hochspannung auf die Oscar-Preisverleihung. Und unverblümt egomanisch hofft jeder der beiden auf die Würdigung des Lebenswerks. „Ein Oscar für Emily“, übernommen vom Berliner Renaissance Theater, wurde soeben in der Münchner Komödie im Bayerischen Hof enthusiastisch gefeiert.
Ehegemetzel? Persiflage auf Künstler-Ehrgeiz? Ein psychologisches Puzzle? Tatsächlich erlebt man hier ein ziemlich komplexes Theaterstück. Eine Tragikomödie, die das Regie-Duo Leonhard Koppelmann und Peter Jordan ganz schön gefordert hat. Als Zuschauer denkt man zunächst an eine Fortschreibung von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von 1962 – durch Mike Nichols’ Verfilmung 1966 mit Elizabeth Taylor und Richard Burton schon so etwas wie ein Weltkulturerbe. Auch in der vorliegenden Ehekrieg-Neuauflage fliegen die Fetzen. Kostproben: „Über die jugendliche Naive bist du nie hinausgekommen … als Wasserleiche warst du ganz akzeptabel“, so Henry. Und Emily: „Du warst immer nur ein attraktiver Pfau. Ein Vorstadt-Valentino!“
Die Geschichte nimmt aber bald eine ganz andere Wendung. Hinter dem gegenseitigen Partner-Bashing des Paares verbirgt sich eine nostalgische Freude am Theaterspielen – die bei ihnen zugleich eine Realitätsflucht ist. Zwischen ihren K.-o.-Schlägen verfallen sie ins Zitieren aus einst gespielten Klassikern. Und blühen regelrecht auf, als sie mit Jeff, dem jungen Mann vom mobilen Foodservice, einen Zuschauer haben. Von hier an beginnt fast in Krimi-Manier die Aufdeckung eines Familiendramas: Emily telefoniert scheinbar mit ihrem Sohn, der mal Arzt, mal Anwalt sein soll. Henry hat aber seit Langem das Telefonkabel aus der Wand gerissen. Durch Jeff werden nun alle Lebenslügen aufgedeckt: Der angeblich erfolgreiche Sohn des Paares hat schon in jungen Jahren eine Heroin-Überdosis nicht überlebt. Jeff, sein Sohn, konnte erst mit seiner Volljährigkeit über den Nachlass des nie gekannten Vaters irgendwann seine Großeltern Emily und Henry ausfindig machen. Ein Jahr lang hat er den Lunch-Lieferanten gespielt, Einblick in die Traumwelt seiner Großeltern gewonnen: Wie sie sich in Schale werfen für die Oscar-Verleihung (Kostüme zwischen irrwitzig und elegant von Ariane Warns) – aber diese dann zu Hause (wohnliches Ambiente von Momme Röhrbein) vor dem Fernseher imaginieren.
Fürs Zuschauerherz ist es natürlich eine Erlösung, wenn Emily und Henry zu ihrer eigentlichen Identität stehen: also nicht mehr die große Karriere vortäuschen, Henrys Krebskrankheit nicht mehr verheimlichen, ihr Versagen ihrem Sohn gegenüber eingestehen und, nicht zuletzt, ihre eheliche Zuneigung, die immerhin 45 Jahre standhielt, nicht mehr übertünchen mit persönlicher Robustheit. Leslie Malton und Felix von Manteuffel machen diese Wandlung zu einer neuen Ehrlichkeit fühlbar. Und genau dafür hat dieser gewitzte Enkel Jeff von Jonas Minthe ja höchst erfolgreich gekämpft. Hingehen!
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bis 26. Februar; Telefon: 089/29 16 16 33.