Sternstunde mit Startproblemen

von Redaktion

Sir John Eliot Gardiner und seine English Baroque Soloists in der Isarphilharmonie

VON MARCO SCHMIDT

Seit sage und schreibe 45 Jahren leitet Sir John Eliot Gardiner, britischer Pionier der historischen Aufführungspraxis, das von ihm gegründete Ensemble English Baroque Soloists. Als er nun die Bühne der Isarphilharmonie betritt, reibt man sich verblüfft die Augen: Kaum zu glauben, dass der Kerl im April schon 80 wird – er sieht allenfalls aus wie 79! Und als die Musiker mit Haydns Sinfonie Nr. 84 beginnen, reibt man sich verblüfft die Ohren: Kaum zu glauben, dass hier die English Baroque Soloists spielen – sie klingen fast wie ein ganz normales Orchester! Haydns Humor wird nur in homöopathischen Dosen serviert; stattdessen hört man in den ersten beiden Sätzen etwa lahme Tempi, lauwarme Steigerungen und halbherzige Sforzati. Erst das erfrischend rustikal rumpelnde Menuett lässt aufhorchen: Dabei assoziiert man keine überkandidelten Rokoko-Schuhe, sondern Gummistiefel, die in Schlammpfützen stampfen. Doch das Finale schnurrt dann wieder so routiniert und kultiviert ab, dass sich der Eindruck aufdrängt, hier gäbe es durchaus noch Luft nach oben.

Und siehe da: Es folgen zwei Sternstunden. Mozarts Sinfonia Concertante musiziert das Londoner Ensemble plötzlich so, als hätte man einen Turbo gezündet – offenbar beflügelt durch die Solisten des Abends, die Geigerin Isabelle Faust und den Bratschisten Antoine Tamestit. Atemberaubend schon zu Beginn, wie sich ihre Instrumente langsam aus dem Tutti-Klang lösen. Beide Interpreten passen perfekt zu Gardiners Originalklang-Orchester: Im Zweifel entscheiden sie sich eher für rotzige Ruppigkeit als für weichgespülten Wohlklang. Sie scheinen sich blind zu verstehen; ihre zweistimmigen Läufe und Verzierungen gelingen frappierend synchron. Von todesfahlen Pianissimo-Passagen bis hin zu schroffen, kantigen Fortissimo-Ausbrüchen: alles da, alles ultrapräzise, alles spannend gestaltet. Besser geht’s nicht. Dasselbe lässt sich über die entstaubte, entschlackte, erfreulich transparente Interpretation von Mozarts Sinfonie Nr. 36 („Linzer“) sagen, die Gardiners Ensemble nach der Pause präsentiert. Flott, feurig und fetzig klingt das, fast schon modern – dank lustvoll zelebrierter Dissonanzen, scharfer Akzente und krasser dynamischer Kontraste. Die Musiker agieren nun im Stehen (Warum eigentlich erst jetzt?), mit Inbrunst und strahlenden Gesichtern – und ihre Begeisterung überträgt sich unmittelbar aufs Publikum. Zum Niederknien!

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