Zwölf Stunden „Anne Will“

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Juli Zeh und Simon Urban quälen ihre Leser mit „Zwischen Welten“

VON KATJA KRAFT

Dieses Buch geht einem derart auf die Nerven, dass man beim Lesen immer miesere Laune bekommt. Jetzt muss man sich natürlich fragen, warum das so ist. Warum man Juli Zehs und Simon Urbans „Zwischen Welten“ nach ein paar Seiten in die Ecke knallen möchte. Wo es ja erstens auch nur blöd herumliegen und also weiter nerven würde; und man dann zweitens nie erführe, ob man sich bei der Lektüre denn irgendwann über so etwas wie Erkenntnisgewinn freuen darf. Oder, verrückte Idee – Gefühl? Oder, mein Gott, wenigstens sprachliche Finessen. Nichts, nichts, nichts. Deshalb weigert sich die Autorin dieser Zeilen, diesen „Roman“ Roman zu nennen. Denn das Wort impliziert ja, dass man es hier mit Literatur zu tun hat. Im besten Falle also mit Kunst. „Zwischen Welten“ aber ist nicht mehr als in Fiktion gegossener Zeitgeist. So uninspiriert zusammengeschrieben, dass man ebenso gut zwölf Stunden am Stück irgendeine politische Talkshow im Ersten, Zweiten oder in Gottes Namen auch bei Bild TV anschauen kann. Frustrationslevel angesichts fehlenden Konsenswillens aller Beteiligten: genauso hoch.

Zeh/Urban nerven uns also mit folgender Konstellation: Auf der einen Seite Journalist Stefan in Hamburg, der ein guter weißer Cis-Mann sein möchte und deshalb auch in privaten Mails gendert. Eine Redaktionssitzung etwa beschreibt er in digitalen Briefen an seine alte Freundin Theresa politisch korrekt so: „Es waren auch Mitglieder (m/w/d) der Online-Redaktion aus Berlin zugeschaltet.“ Stefan möchte die Welt mit Journalismus verändern, der Haltung zeigt. Angesichts von Klimawandel und Ukraine-Krieg könne man es sich nicht mehr leisten, nicht zu allem eine Haltung zu haben. Landwirtin Theresa wiederum hat keine Zeit und keinen Nerv für Haltung. Ihr Hof liegt in Schütte, 80 Kilometer entfernt von Berlin. „Dünn besiedelt, sozial schwach, ziemlich vergessen von der Welt“, schildert sie ihr Zuhause.

Und los geht die mühsame, redundante Diskussion der zwei. In der sie ihm vorwirft, in seiner Intellektuellen-Blase zu vergessen, was im Land abgeht. Und er anstrengend entsetzt ist, dass sie Twitter-Debatten abtut als Sturm im Wasserglas. Wären sie früher nicht enge Freunde gewesen, schreiben sie einmal, würden sie heute kein Wort miteinander wechseln. Und das soll der Clou sein? Dass sie es hier weiter tun, trotz total verschiedener Weltansichten? Möchten Zeh und Urban uns mit diesem wütenden Briefwechsel dazu ermuntern, im Gespräch zu bleiben, trotz der Meinungsgräben, die sich in unserer Gesellschaft aufgetan haben? Weil man die nur zuschütten kann, wenn man aufhört, alles schwarz-weiß zu sehen? Dann ist dieses Anliegen gescheitert. Denn obwohl viele der Argumente, die Stefan und Theresa durchkauen, richtig sind, fängt man als Leser nicht an, sich selbst zu reflektieren. Statt berührt zu sein von den Ungerechtigkeiten der Welt, sieht man sich mit erhobenem Zeigefinger angepöbelt. Und fühlt am Ende: nichts. Weil der Text blutleer ist. Hinzu kommt: Stefan und Theresa sind unsympathisch. Wie alle Protagonisten. So sehen Zeh und Urban unsere Gesellschaft? Grün oder CSU. Lastenfahrrad oder SUV. Ein Dazwischen ausgeschlossen. Am Ende schlägt man das Buch zu und denkt sich: Ganz so ist es nicht. Welch ein Glück.

Juli Zeh / Simon Urban:

„Zwischen Welten“. Luchterhand, München, 448 Seiten; 24 Euro.

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