„Dieses Chaos fasziniert mich“

von Redaktion

Andrew Manze dirigiert „Dido and Aeneas“ und „Erwartung“ an der Bayerischen Staatsoper

VON GABRIELE LUSTER

Andrew Manze ist in Mün-chen kein Unbekannter. Er stand mehrfach am Pult der Münchner Philharmoniker und war auch einmal zu Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. An diesem Sonntag wartet hier ein besonderes Debüt auf ihn: Manze dirigiert zum ersten Mal eine szenische Opernproduktion, und das gleich an der Bayerischen Staatsoper. Henry Purcells „Dido and Aeneas“ und Arnold Schönbergs „Erwartung“ stehen in einer Inszenierung von Krzysztof Warlikowski auf dem Programm.

Intendant Serge Dorny und Manze kennen sich seit Langem. „Als Serge mich fragte, ob ich eine Neuproduktion leiten wolle, konnte ich nicht Nein sagen.“ Vom ganzen Gewusel und der immensen Betriebsamkeit in einem Opernhaus ist er völlig überwältigt. „Dieses ‚Chaos‘ fasziniert mich“, sagt der Dirigent, der bisher nur konzertante Aufführungen von Beethovens „Fidelio“ und Mozarts „Don Giovanni“ leitete. „Ich liebe die Oper sehr und lasse mich als Zuschauer von ihrer Magie gefangen nehmen. Ich wollte eigentlich gar nicht wissen, wie es hinter den Kulissen ausschaut. Jetzt bin ich doch sehr glücklich, kehre aber danach gern wieder ins Parkett zurück, um dem Zauber der Oper zu erliegen…“

Begonnen hat der 58-Jährige seine musikalische Laufbahn als Geiger. Da er sehr neugierig war (und ist), spielte Manze alles, was sich anbot, und kam in seiner Heimat Großbritannien natürlich auch mit der historischen Aufführungspraxis in Berührung. Rasch entwickelte er sich zum gefragten Spezialisten auf der Barockgeige, der schließlich Trevor Pinnocks Ensemble The English Concert übernahm und auch mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment musizierte. Gleichzeitig spielte Manze immer wieder zeitgenössische Musik und übte sich im Dirigieren: Als Konzertmeister vom ersten Pult aus und – „weil die Sänger das nicht gerne mögen“ – schließlich am Pult.

Chefposten beim Helsing-borger Symphonieorchester (2006-2014) und bei der NDR- Radiophilharmonie (2014-2023) folgten, dazu Gastauftritte bei führenden Orchestern. Manzes Erfahrung in der Alten wie der Neuen Musik scheint ihn für das Münchner Purcell-Schönberg-Projekt zu prädestinieren. Dabei ist er einer, der auf die Musikerinnen und Musiker baut, ihnen vertraut. Er fühlt sich ihnen eng verbunden und käme nie auf die Idee, zum Beispiel jegliches Vibrato in der Barockmusik zu verbieten. Vielmehr animiert Manze sie, in die Musik hineinzuhören, Sinn und Stimmung zu erspüren.

„Die Information steckt in der Musik selbst. Wenn bei Purcell ein Vorzeichen steht, dann Achtung, jetzt passiert etwas! Bei Schönberg dagegen stehen überall Vorzeichen“, lacht der Dirigent. Zeitgenössische Komponis-ten fragt er gerne, wie sie sich dies oder das in ihrer Partitur vorgestellt haben. „Sie können mir meist nicht sagen, was sie genau wollen. Und wenn ich Purcell frage, dann sagt er mir, er habe seins getan, nun sei ich dran.“ Die Folgerung: „Ich muss mir selbst vertrauen.“

Manze geht es bei Purcell nicht um einen vermeintlich historischen Originalklang. „Das München heute ist nicht das England von vor gut 200 Jahren. Auch die Instrumente der Streicher sind heutige. Dazu kommen im Basso continuo allerdings eine zarte Barock-Gitarre und eine Theorbe.“ Ganz anders sieht das Orchester bei Schönbergs 1909 komponierter „Erwartung“ aus: ein Riesenaufgebot. Musikalisch gibt es also keine Verbindung zwischen den Werken. In der Inszenierung eher, zumal Aušrinė Stundytė die Dido singt und auch die Frau in Schönbergs Monodram. Sie gibt dem Schmerz und dem Wahn der beiden verlassenen Frauen Ausdruck. Als Überleitung zwischen beiden Werken dient eine knapp zehnminütige Synthesizer-Musik.

Manze staunt über die (musikalische) Wandlungsfähigkeit der Sängerin, die noch nie eine Barockoper gesungen hat. Er ist fest überzeugt, dass das Lamento der Dido – ihre Sterbeszene und für ihn eine der schönsten der gesamten Opernliteratur – als großer, berührender Moment von der aufwühlenden „Erwartung“ nicht weggefegt wird. Bei Schönberg ist eine Frau verzweifelt auf der Suche nach ihrem Geliebten – schließlich findet sie seine Leiche.

Manze weiß, dass das Publikum von diesem Opus stark gefordert wird. „Mir scheint, es ist ähnlich wie der erste Besuch in einem indischen Restaurant, wenn man nur deutsche, italienische oder griechische Küche kennt“, amüsiert er sich. Dem Drama, das die Sängerin der Dido erzählt, folge das Orchester. Anders bei Schönberg. „Da liefert es in dessen strengem System die psychologische Ebene, während die Frau in ihrem Wahn förmlich in eine Endlosschleife gerät. Wie Schönberg am Ende den Tutti-Klang geradezu auseinanderfliegen lässt – das ist genial.“

Premiere

am 29. Januar;

Karten unter Telefon 089/21 85 19 20.

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