Das Leben von Miri Saadon Shani muss man sich etwas kompliziert vorstellen. Weil: Ihr Ehemann pflegt gerade geschätzte 100 Affären. „Vom Flämmchen zum Steppenbrand“ habe sich diese Liebe entwickelt, so drückt es Solo-Klarinettistin Alexandra Gruber vom Orchestervorstand der Münchner Philharmoniker aus. Der Begriff „Liebesheirat“ fällt noch. Und leider sitze ihr Ensemble gerade bei der Generalprobe in der Isarphilharmonie – „sonst wären sicher alle hier und würden einen Freudentanz veranstalten“.
Lahav Shani, der künftige Chefdirigent, quittiert das am Stehpult in der Rathausgalerie mit verlegenem Lächeln. Ganz schnell ging das für ihn am gestrigen Vormittag. Kurz nach dem Zusammentreten des Münchner Stadtrats gab es ein einstimmiges Votum mit sofortiger Vertragsunterzeichnung. Ab der Saison 2026/2027 steht er also an der Spitze der Philharmoniker. Sein Vertrag gilt vorerst für fünf Jahre. Damit bestätigt sich das offiziell, worüber an dieser Stelle seit Wochen berichtet wurde. „Jetzt kann man sich erst richtig freuen“, sagte dazu Shani.
Wie heftig es gefunkt hat zwischen dem 34-Jährigen und seinem künftigen Orchester inklusive Stadtvertretern, das ist bei diesem Pressetermin zu spüren. Man duzt sich – ausgenommen davon natürlich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der spricht vom „Meilenstein in der Münchner Kulturgeschichte“ und von „Sensation“. Vor allem mit Blick auf die Einmütigkeit der Entscheidung – auch weil Reiter weiß: Die Berufung von Lahav Shanis Vorgänger Valery Gergiev und dessen Vertragsverlängerung war (nicht nur) im Stadtrat umstritten.
Ab 2026 erst Chef, da ist es noch lange hin. Das Publikum der Philharmoniker wird damit getröstet, dass Shani 2024 „Klassik am Odeonsplatz“ dirigiert. Auch sonst, so heißt es, werde nach zusätzlichen Terminen gesucht. Der späte Zeitpunkt hat einen Grund. Bis Sommer 2026 bleibt Shani Chef des Rotterdam Philharmonic Orchestra. Allen ist an einem reibungslosen Übergang gelegen. Trotzdem werden sich die Münchner Philharmoniker Shani mit dem Israel Philharmonic Orchestra teilen müssen. Seinen ausstrahlungsmächtigen Posten dort wird der gebürtige Israeli mit Wohnsitz Berlin behalten. Philharmoniker-Intendant Paul Müller kündigte schon eine Zusammenarbeit mit dem Orchester aus Tel Aviv an.
Dass Shani auf absehbare Zeit mit dem Provisorium der Isarphilharmonie zurechtkommen muss, ist ihm bewusst. Gerade deshalb sei ein renovierter Gasteig „ganz wichtig“ für die Philharmoniker. „Wir brauchen diesen Saal.“ Wie berichtet, ist die Gasteig-Renovierung gefährlich ins Stocken geraten, weil die Stadt keinen Investor findet. Trotz dieser Probleme glaubt Kulturreferent Anton Biebl allerdings an eine Wiedereröffnung 2030 oder 2031, wie er auf dem gestrigen Pressetermin sagte. Was bedeutet: Um die Philharmoniker im sanierten Gasteig zu dirigieren, müsste Shani seinen Vertrag wohl verlängern.
Vieles deutet darauf hin, dass die Münchner rechtzeitig auf dem Dirigenten-Markt zugegriffen haben. Shani, der seinen Durchbruch 2013 mit dem Gewinn des Bamberger Gustav-Mahler-Wettbewerbs feierte, wird immer begehrter. Davon zeugen allein seine Gast-Engagements bei den Berliner und Wiener Philharmonikern, beim Concertgebouworkest Amsterdam, beim BR-Symphonieorchester oder dem Chicago Symphony Orchestra.
Einen solchen einschneidenden Generationenwechsel haben die Philharmoniker seit 1905 nicht mehr hingelegt. Damals übernahm der seinerzeit 33-jährige Georg Schnéevoigt das Ensemble. Mit Shanis Berufung bekommen die neue programmatische Ausrichtung und der Neustart im Interim ein Gesicht. Außerdem passt der Neue zum verjüngten Publikum. Was noch bemerkenswert ist: Die Münchner Philharmoniker erhalten drei Künstler in einer Person (und zum Preis von einem). Shani studierte neben Dirigieren auch Kontrabass und Klavier. Wer sich einen Eindruck von seinen Piano-Künsten verschaffen möchte, sollte sich einen Youtube-Mitschnitt von Prokofjews drittem Klavierkonzert gönnen. Einen derart virtuosen Auftritt erlebt man sonst nur bei den Tasten-Stars. Philharmoniker-Intendant Paul Müller schwärmte schon mal von den „enormen Möglichkeiten allein im kammermusikalischen Bereich“.
Ansonsten sickerte programmatisch wenig durch. Was auch daran liegt, dass Shani stilistisch breit aufgestellt ist. Damit ist er ein typischer Vertreter der jüngeren Dirigenten-Generation, die von Barock über Wiener Klassik und Romantik bis zur Moderne polystilistisch unterwegs ist. Klingt alles nach einem Idealfall also. „Irgendwie hatte ich das seltene Gefühl, dass wir einander vertrauen können und dass wir die Musik ähnlich sehen“, sagte Shani mit Blick auf sein künftiges Orchester. Und offenbar hat er noch viel vor, wie er lächelnd andeutet. Sein Vorgänger Zubin Mehta beim Israel Philharmonic habe dieses schließlich 50 Jahre lang geleitet.