Raus aus der Dunkelheit

von Redaktion

Sarah Polley über wahnsinnige Männer und ihren Film „Die Aussprache“

Berühmt wurde Sarah Polley zunächst als Schauspielerin in Filmen wie „Das süße Jenseits“ oder „Mein Leben ohne mich“. Doch seit ihrem Debüt als Filmemacherin mit dem Demenz-Drama „An ihrer Seite“ (2006) konzentriert sie sich aufs Drehbuchschreiben und Regieführen. Ihr neuer Kinofilm „Die Aussprache“, der übermorgen anläuft, hat schon mehr als 40 Preise gewonnen und ist für zwei Oscars nominiert: als bester Film und für Polleys Drehbuch. Die 44-jährige Kanadierin erzählt darin, basierend auf wahren Begebenheiten und dem Bestseller von Miriam Toews, von Frauen in einer mennonitischen Kolonie, die herausfinden, dass sie systematisch betäubt und sexuell missbraucht wurden – und sich nun entscheiden müssen: Sollen sie bei ihren Männern bleiben und für ihre Rechte kämpfen? Oder sollen sie die Gemeinde verlassen und sich anderswo ein neues Leben aufbauen?

Ihr Film zeigt die Diskussion der Frauen in einer Scheune, ist aber kein Kammerspiel: Er überrascht mit monumentalen Breitwand-Bildern.

Immerhin müssen diese Frauen eine gewaltige Entscheidung treffen. Warum sollten die Aufnahmen nicht genauso gewaltig sein? Soll man etwa nur dann in Cinemascope filmen, wenn Männer in den Krieg ziehen oder Baseball spielen? Ich wollte, dass die Scheune auf der Kinoleinwand wirkt wie eine gigantische Kathedrale.

Sie selbst haben vor einigen Jahren entschieden, die Schauspiel-Gemeinde zu verlassen. In Ihrem Buch „Run towards the Danger“ schildern Sie schockierende Erfahrungen im Filmgeschäft. Haben Sie als Darstellerin vor allem gelernt, wie man sich auf dem Regiestuhl möglichst nicht verhalten sollte?

Ich habe durchaus auch mit ein paar wundervollen Vertretern der Regie-Zunft gearbeitet: Isabel Coixet, Wim Wenders oder Atom Egoyan waren beispielsweise ausgesprochen souverän, sanft, leise und liebenswürdig im Umgang. Andere hingegen entpuppten sich als blanker Horror – herumbrüllende Regisseure, unberechenbar wie Hurrikans, waren am Set leider die Regel. Der Irrglaube, Genie hätte etwas mit Wahnsinn zu tun, erlaubte es jenen Männern, sich als wilde Wahnsinnige aufzuführen. Manche meinen, immerhin seien so einige Meisterwerke entstanden – doch ich glaube, diese Filme hätten durchaus noch besser sein können: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Schauspielerinnen erst dann zur Höchstform auflaufen, wenn sie sich sicher und geborgen fühlen.

Die Akteurinnen in „Die Aussprache“ schwärmen, am Set habe trotz des schweren Themas eine heitere und entspannte Atmosphäre geherrscht.

Das war mir wichtig. Als ich Miriam Toews fragte, was ich bei der Kinoadaption ihres Romans auf keinen Fall vergessen sollte, sagte sie: „Das Lachen!“ Beim Dreh der Szene, in der die heftig debattierenden Frauen im Heuschober plötzlich in Lachanfälle ausbrechen, bekam ich übrigens unerwartete Unterstützung: Ausgerechnet Rooney Mara, die oft so todernst wirkt, schmuggelte an diesem Tag ein Furzkissen ans Set, das sie gekonnt mehrmals genau im richtigen Moment zum Einsatz brachte – und so dafür sorgte, dass das Gelächter im Film völlig ungekünstelt wirkt.

Was für eine Reaktion auf Ihren Film würden Sie sich wünschen?

Zum einen möchte ich eine konstruktive Diskussion darüber anstoßen, was für eine Art von Gesellschaft wir gern erschaffen würden – das finde ich fast noch wichtiger als das Aufbrechen von toxischen Macho-Strukturen. Und zum anderen will ich dazu anregen, das Gespräch mit Andersdenkenden zu suchen. Im Film kann man quasi in Echtzeit erleben, wie sich Menschen durch gute Argumente davon überzeugen lassen, ihre Meinung zu ändern. Auch im echten Leben dürfen wir den Dialog niemals aufgeben.

Auch nicht mit Frauenhassern, Rechtsradikalen und Verschwörungstheoretikern?

Genau. Neulich habe ich ein Experiment gemacht: Ich wollte wissen, wo ein einsamer 17-Jähriger, der sich unverstanden fühlt, landet, wenn er auf TikTok nach Lebenshilfe sucht. Da poppen dann etwa Videos des erfolgreichen Psychologen Jordan Peterson auf – erst harmlose, in denen er zum Zimmeraufräumen rät, aber bald schon seine üblen Hasstiraden gegen Transgender oder emanzipierte Frauen. Gruselig, wie wenige Klicks ausreichen, um harmlose Jungs zu radikalisieren! Doch nicht diese Opfer sind der Feind, sondern das patriarchalische System, das deren Hirne vergiftet.

Im Film heißt es sinngemäß, als Mitglied einer seit Jahrtausenden unterdrückten Spezies werde man fast zwangsläufig zur Träumerin. Sind Sie auch eine?

Einerseits ja, andererseits bin ich auch sehr pragmatisch. Ich finde große Visionen im Hinterkopf genauso wichtig wie konkrete, erfolgreiche kleine Schritte auf dem Weg dorthin. Bislang hat uns die Geschichte gelehrt, dass auf kurze Perioden der Reform meist längere Phasen der Reaktion folgen. Es wäre traumhaft, wenn diese reaktionären Phasen in Zukunft seltener aufträten – und deutlich kürzer würden!

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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