Mensch Marlene

von Redaktion

Ute Lemper über ihre Dietrich-Hommage am Deutschen Theater München

Videoanruf bei Ute Lemper in New York: „Guten Morgen!“, ruft sie gut gelaunt aus ihrer Wohnung voller Bücher und Tonträger. Bereits als 24-Jährige, 1987 war das, wurde die Sängerin und Schauspielerin von der Presse als „neue Marlene Dietrich“ gefeiert – nach ihrer Interpretation der Sally Bowles in „Cabaret“. Den Vergleich mit der Diva (1901-1992) hielt Lemper für unangemessen, was sie der Dietrich damals auch schrieb. Die rief sie daraufhin an. Jahrzehnte später wurde aus jenem Telefonat dann das „Rendezvous mit Marlene“. Morgen stellt Lemper den Abend im Deutschen Theater vor. „Ich freue mich, die Marlene jetzt endlich nach München zu bringen“, sagt die 59-Jährige in unserem Gespräch.

Was ist für die Künstlerin Ute Lemper das Reizvolle an der Künstlerin Marlene Dietrich?

Ihr Charisma, ihr unglaublicher Charme, ihr Humor und ihre Ästhetik. Aber all das ist nicht einmal das Ausschlaggebende.

Sondern?

Das Ausschlaggebende ist ihre Geschichte. Ich möchte von dem Spirit erzählen, den ich bei unserem Telefonat 1987 mitbekommen habe: von ihrer Melancholie, ihrer Bitterkeit, ihrer Traurigkeit, auch davon, dass die Legende, die sie war, damals bereits verletzt war.

Lassen Sie uns noch kurz bei Ihnen bleiben. Sie wurden früh in Ihrer Karriere mit der Dietrich verglichen. Im Rückblick: War das Segen oder Fluch?

Weder noch. Es war ein schönes Kompliment, das mir weder Türen geöffnet noch mich belastet hat. Dadurch, dass ich Deutsche war und früh im Ausland Karriere gemacht habe, hat sich schnell diese Schublade geöffnet …

… für Sie selbst auch?

Ich habe mich kaum mit ihr identifiziert in frühen Jahren. Das war eine Frau einer anderen Zeit, einer anderen Ästhetik, eines anderen Stils, der mich damals gar nicht sonderlich interessiert hat. Ich war eigentlich waschecht zeitgenössisch unterwegs – dadurch, dass ich Berliner Chuzpe hatte, dass ich offen und dreist versucht habe, mich selbst zu verwirklichen. Da hätte die Reverenz an eine Dame aus einer anderen Zeit nicht gepasst.

Wann begannen Sie, sich künstlerisch für die Dietrich zu interessieren?

Viel später. Da fiel mir auf, dass sie eine komplizierte Geschichte hatte, für die ich viel Empathie hatte, mit der ich auch mitleiden konnte.

Das Telefonat, das Sie 1987 mit Marlene Dietrich geführt haben, ist die Grundlage Ihres Bühnenabends. War Ihnen sofort klar, dass Sie aus diesem Gespräch etwas machen müssen?

Überhaupt nicht. Ich habe das vor 36 Jahren in mein Herz eingeschlossen und sehr selten darüber gesprochen. Mein Leben damals war so intensiv – ich hatte gar keine Zeit, mich groß damit zu befassen. 30 Jahre später, ich lebte längst in New York, kam das Leben der Marlene zufällig durch ein anderes Projekt wieder an mich heran. Durch ein Drehbuch, das ich sehr platt fand. Ich habe selbst recherchiert und umgeschrieben – aber es wurden nur wenige meiner Vorschläge übernommen. Vermutlich weil man die Ikone zeigen wollte: als unantastbare, unmenschliche Statue.

Das war die Initialzündung für Ihr „Rendezvous mit Marlene“?

Ich habe gedacht: Jetzt reicht’s mir – jetzt werde ich selbst ein Stück schreiben und mich mit der Frau so beschäftigen, wie ich sie empfinde. Da es bereits Hommagen gab, bin ich auf diesen Telefonanruf zurückgekommen und habe mich gefragt: Was ist wirklich hängen geblieben in meinem Herzen? Es war der Satz, den sie damals immer wieder gesagt hat: „Die wollen mich ja nicht zurück.“

Mit „die“ hat sie die Deutschen gemeint …

Natürlich. Ich hatte ihr geschrieben, nachdem manche Zeitungen uns damals miteinander verglichen haben, und mich dafür entschuldigt. Sie hat dann den Kontakt gesucht und mich angerufen: Sie wollte mit mir reden.

Was war ihr Antrieb?

Ich denke, dass ich Deutsche war – wie sie ja auch den Kontakt zu Hildegard Knef gesucht hatte. Sie wollte Deutsch sprechen, ihre Geschichte erzählen, sich erklären. Es war eigentlich ein Monolog. Das hat sie auch gesagt: „Bitte bloß keine Fragen stellen.“ (Lacht.) Drei Stunden dauerte ihr Anruf.

Worüber sprach sie?

Es ging um viele Dinge. Um ihre Liebe zu Rainer Maria Rilke, um ihr Leben in Paris, um Deutschland und ihre Tochter Maria (Maria Riva, US-Schauspielerin, geboren 1924 in Berlin; Anm. d. Red.). Essenz des Anrufs waren Traurigkeit, Melancholie, Enttäuschung.

Keine einfachen Ausgangsbedingungen für einen Theaterabend. Wie sind Sie vorgegangen?

(Atmet tief aus.) Ausprobieren, recherchieren, wieder probieren, das Wesentliche herauskristallisieren. Sehr geholfen hat mir Billy Wilder, der mir einige wunderschöne Geschichten über seine geliebte Marlene erzählt hat. Die beide waren ja wirklich beste Freunde – aber auch mit ihm hatte sie keinen Kontakt mehr.

Worum geht es Ihnen bei diesem „Rendezvous“?

Ich versuche, Essenzen zu zeigen – vor allem das Alter. Sie ist vereinsamt gewesen: Als wir sprachen, hatte sie das Haus seit Jahren nicht verlassen. Sie war schwierig, vielleicht sogar ein bisschen selbstzerstörerisch. Dieser menschliche Aspekt ist mir wichtig.

Und musikalisch?

Es interessiert mich nicht, sie total zu imitieren. Denn da ist eine ganz gehörige Portion Ute drin. Ich lasse uns beide verschmelzen. Ich bin ja auch Musikerin – vielleicht mehr, als sie es je war, da ich selbst Musik schreibe. Sie ist in ihrem Stil ja sehr eingeschlossen gewesen. Sie hat ihn perfektioniert, er war wahnsinnig charmant – aber sie war in diesem Stil gefangen. Und das bin ich eben nicht. Ich mache eine starke Reverenz an ihre Interpretation – und dann gehe ich einen großen Schritt hinein in meine Welt.

Wo sehen Sie stilistisch Gemeinsamkeiten?

Ich denke, dass wir beide auf der Bühne eine Aura um uns haben, die mit den Jahren gekommen ist. Ich habe ja auch bald einen großen runden Geburtstag zu feiern.

Gibt es Pläne für Ihren 60.?

Ich weiß noch gar nicht, was ich am 4. Juli mache, ob ich eine große Party mache. Meine große Party ist in diesem Jahr, dass ich meine Autobiografie geschrieben habe und ein neues Album herausbringe – mit beidem reflektiere ich mein Leben. Ansonsten: Wenn ich an meinem Geburtstag mit einem Glas Champagner, meinen Kindern, meinem Mann und meinen wenigen besten Freunden hier in New York sitze – das reicht mir. Keine große Party! Da muss man nur hinterher aufräumen.

Das Gespräch führte Michael Schleicher.

„Rendezvous mit Marlene“

von und mit Ute Lemper ist morgen, 20 Uhr, im Deutschen Theater zu erleben; Telefon 089/55 234 444.

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