Selbstverständlich würde man gern über Yoko Ono schreiben, ohne John Lennon zu erwähnen. Aber das ist unmöglich. Und dass es unmöglich ist, liegt an Yoko Ono. Gemeinsam mit Lennon hat sie den Mythos des ultimativen Liebespaares erschaffen, das gemeinsam lebt, arbeitet, atmet, denkt. Seit Lennons Ermordung 1980 hegt und pflegt sie diesen Mythos akribisch. Die Ressentiments, die ihr für die Vereinnahmung Lennons entgegenschlagen, nimmt sie in Kauf.
Seit sich die größte Popsensation aller Zeiten 1970 aufgelöst hat, ist sie am Ende der Beatles schuld. Die Fans verhielten sich damals wie Teenager auf dem Schulhof und wählten die Schwächste als Sündenbock, Yoko Ono. Eine kleine Japanerin, Konzeptkünstlerin und Feministin – darauf konnte man sich als Feindbild einigen. Onos Vergehen: Sie hat Lennon geehelicht und nach Überzeugung der Öffentlichkeit von den Beatles entfremdet.
Zugegeben, sie gibt sich wenig bis gar keine Mühe zu gefallen. Als Bewahrerin des einzig legitimen Andenkens an John Lennon zeichnet sie sich durch den Willen aus, alles, was nicht ins Klischee des poetischen Friedensapostels passt, zu tilgen. Da ist für die anderen drei Beatles gar nicht so viel Platz, und Ono spinnt fleißig an der Legende, Lennon sei die Beatles gewesen. Das ist auch finanziell lukrativ, sein Name spült nach wie vor jährlich zweistellige Millionenbeträge in die Kasse. Onos gelegentliches Wehklagen, ihre Persönlichkeit werde vom Andenken Lennons überschattet, ist da natürlich ein Paradoxon.
Dabei hatte sie eine faszinierende Karriere, bevor sie Mrs. Lennon wurde. Anfang der Sechzigerjahre erregte sie mit ihrer Kunst Aufsehen. Sie war in vielem ihrer Zeit voraus, und wenn man heute ihr bahnbrechendes Buch „Grapefruit“ von 1964 durchblättert, liest sich vieles wie eine Gebrauchsanweisung fürs 21. Jahrhundert. Onos Performances sorgten für Furore, vieles davon wird heute noch variiert, in gewisser Hinsicht könnte man Yoko Ono eine Vorläuferin von Künstlerinnen wie Marina Abramović nennen.
1966 stolpert ein vom Rummel enorm gelangweilter Lennon in eine Ausstellung von Yoko Ono. Später wird sie erzählen, sie hätte nicht gewusst, wer er sei und habe die Beatles nicht gekannt. Aber Ono lebte da schon einige Zeit in London, und es war 1966 schlicht unmöglich, nicht von den Beatles gehört zu haben. Lennon jedenfalls fiel auf Onos Bluff herein, zwei Jahre später wurden sie ein Paar, und die Existenz als „Johnundyoko“ begann. Sehr zum Befremden der übrigen Beatles fühlte sich Ono berufen, ungefragt Kompositionen zu kritisieren und selber bei Aufnahmen mitzumischen. Nach dem Ende der Band nahm sie eigene Platten auf und stand gemeinsam mit Lennon auf der Bühne, um, nun ja, zu singen. Der Fairness halber muss man sagen, dass vieles von dem, was Lennon gutgeschrieben wird, von Ono stammte, etwa die Grundidee des Songs „Imagine“.
Als Lennon 1975 zum Hausmann wurde, übernahm Ono die Rolle des Haushaltsvorstands – und das ist sie letztlich bis heute. Immer in Schwarz mit Sonnenbrille und Kopfbedeckung wirkt sie schon seit Jahrzehnten alterslos und trotzt Hass und Häme mit stoischer Gelassenheit. An diesem Samstag wird Yoko Ono, die Frau, die Popgeschichte geschrieben hat, obwohl sie das nie wollte, 90 Jahre alt. Das Alter, sagt sie, sei eine Fiktion.