Durch Exerzitien zur Ekstase

von Redaktion

Igor Levit mit Mahler, Schubert und Prokofjew im Prinzregententheater

VON MARCO SCHMIDT

Das ist vielleicht das Schönste an Konzerten mit Igor Levit: Routine hat hier Hausverbot. Da werden nicht ständig dieselben Programme abgenudelt – der 35-jährige Marathon-Mann mit Mut zu modernen Mammutwerken sucht stets neue Herausforderungen, wobei er gern die Grenzen des Spiel- und Zumutbaren auslotet. Beim Auftritt im ausverkauften Prinzregententheater galt das für den Brocken vor der Pause: für das Adagio aus Mahlers zehnter Symphonie im Arrangement für Solo-Piano von Ronald Stevenson.

Ohne Mahlers üppige Instrumentierung überwältigt etwa der Fortissimo-Ausbruch nicht, sondern nervt eher durch unangenehmes Klavier-Klirren. Geradezu ins Absurde kippt das Unterfangen in den ausgedehnten Pianissimo-Passagen, vor allem im breiten Bratschen-Unisono zu Beginn oder dem ausufernden Abgesang am Schluss: Die Übertragung der lang gezogenen Streicher-Melodielinien auf die Klaviertastatur führt dazu, dass gefühlt nur alle Jubeljahre mal ein Ton in den Saal tropft. Levit bemüht sich, mit ausgeklügelter Abschattierung und atemberaubender Anschlagskultur die Spannung zu halten – doch das wirkt wie erfolgloses Stochern in der Klangwüste auf der Suche nach einer Zwölftonreihe. Was blüht uns als Nächstes? Durchaus denkbar, dass jemand Wagners „Parsifal“ für Blockflöte arrangiert. Aber wollen wir das hören?

Vielleicht ist es ja nicht der schlechteste Weg, durch derlei Exerzitien zur Ekstase zu gelangen. Zur Belohnung bietet Levit nach der Pause pianistische Glanzleistungen. Erfrischend lebendig gestaltet er Schuberts drei Klavierstücke D 946: Er kostet die Kontraste dieser mit technischen Tücken gespickten Musik aus, wobei ihm vor allem einige hauchzarte Momente zum Niederknien gelingen; nur im arg schnell begonnenen dritten Stück flüchtet er sich zeitweise in Pedalnebel. Dafür kommt Levit in seiner brillanten Deutung der siebten Prokofjew-Sonate mit verblüffend wenig Pedal aus; er mobilisiert sogar am Ende der Toccata noch neue Kraftreserven und sorgt mit seinem so exzessiven wie expressiven Spiel für Jubelstürme.

Dabei betont er Dissonanzen, meißelt brutale Passagen kristallklar heraus und führt uns so vor Augen, dass Prokofjew auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs reagiert hat. Passende Zugabe: Paul Dessaus „Guernica“ von 1937, ein Aufschrei über die Bombardierung der baskischen Kleinstadt im selben Jahr – und perfekter Abschluss des packenden Abends.

Artikel 9 von 11