Immer wieder dieselbe Frage. „Wo ist Warhol?“ Achim Hochdörfer weiß nicht, wie oft er sie beantworten musste in den vergangenen Monaten. Er sagt: durfte. Denn dass die Menschen beim Besuch des Museums Brandhorst meist zuerst nach Andy Warhol fragen, zeigt ja, welch ungeheuren Schatz Hochdörfer als Direktor hütet. Die größte Sammlung von Werken der Pop-Art-Ikone (1928-1987) außerhalb der USA besitzt das Münchner Haus. Wirkungsvoller Lockstoff für alle, die mit Bildender Kunst nicht viel am Hut haben, sich, angezogen von Warhols Marilyn Monroes und Elvis Presleys, ins Museum wagen – und dort ja eigentlich gar nicht anders können, als sich auch vom Rest dieser prächtigen Sammlung einnehmen zu lassen.
Dann kam im vergangenen Sommer die große „Future Bodies“-Schau im Brandhorst, auf zwei Etagen – und es war kein Platz mehr für die Präsentation der Sammlung, die sonst im Erdgeschoss gezeigt wird. Auch Warhol landete im Depot. An der Museumskasse hängt seither ein Selbstporträt des exzentrischen US-Künstlers, durchgestrichen, darüber in roten Lettern: „No Warhol!!!“ und der charmante Zusatz „On Vacation“. Andy im Urlaub. Diesen Hinweis besonders für die vielen internationalen Touristen, die das Haus besuchen, können Hochdörfer und sein Team am Dienstag abhängen. Dann nämlich endet der Urlaub. Warhol ist zurück. Und nicht nur der.
Denn in den vergangenen Monaten hat Hochdörfer ja nicht nur Pop-Art-Fans vertröstet. In den vergangenen Monaten hat er für sie etwas vorbereitet, das sie alle sehr glücklich machen wird. Die Präsentation der Sammlung hat er mit Kuratorin Franziska Linhardt komplett neu gestaltet. Was für eine Freude das auch für ihn selbst gewesen sein muss, sieht man seinem breiten Lachen an, wenn er jetzt mit einem um die Ecke in den ersten Ausstellungsraum biegt. Ach was, schon beim Betreten des Ganges dorthin deutet er glücklich, und zu Recht stolz auf das zwei Mal vier Meter große Gemälde, das dort die Wand einnimmt. Da hängt nämlich – denkste! – kein Warhol. Sondern die fantastische Malerei „Venice Void“ von Jana Euler. Ein umgestülpter Männerkörper, ungezügeltes Spiel mit Geschlechterrollen, Körperlichkeit. Eine Ansage, die einem in Öl auf Leinwand vorführt, was Malerei kann. Farbfrisch von der Biennale in Venedig 2022 eingekauft. Noch so etwas, was Hochdörfer neben dem Kuratieren am liebsten macht: Kunst kaufen. Dank der Udo und Anette Brandhorst Stiftung hat er einen üppigen Ankaufsetat. Und weil er und Stifter Udo Brandhorst glücklicherweise außerdem einen sehr ähnlichen Geschmack haben, ergänzen sie sich bei der Erweiterung der von den Brandhorsts aufgebauten Sammlung (Anette Brandhorst starb 1999) streitlos. „Uns ist es wichtig, nicht einfach möglichst viele große Namen zu kaufen und bloß ein, zwei Werke von ihnen zu haben, sondern sich lieber auf wenige Künstlerinnen und Künstler zu konzentrieren und von denen ganze Werkgruppen zusammenzubringen. Um die künstlerische Entwicklung des Einzelnen abzubilden.“ Wie bei Pope. L (Jahrgang 1955). Ihm haben sie in der klug kuratierten Schau, die zwischen Künstler- und Themenräumen abwechselt, einen eigenen Saal gewidmet. Hier entdeckt man die schöpferische Vielfalt Pope. Ls, der wie viele afroamerikanische Künstlerinnen und Künstler gerade (wieder-)entdeckt wird. So wird auch das Brandhorst immer bunter.
Und es passiert, wofür Museen erfunden wurden: Durch das Zusammenspiel mit den neuen Werken wirken die alten, wohl bekannten plötzlich ganz anders. Wie schaut man auf den viel geliebten Warhol, der in seinem „Mustard Race Riot“ (1963) auf damalige Polizeigewalt gegen friedlich demonstrierende Afroamerikaner hinweist, wenn man es im Kontext von Thomas Eggerers „Corridor“ (2020) sieht? Gegen was die Menschen auf dessen Gemälde demonstrieren, ist nicht auszumachen. Was sind die Themen, für die es sich heute lautstark zu protestieren lohnt? Und bringt’s überhaupt etwas, wenn Krieg, Rassismus, Diskriminierung doch nie zu enden scheinen? „Unser Ziel war es, einen frischen Blick auf die Sammlung zu werfen“, sagt Hochdörfer. 24 der 75 Neuerwerbungen der vergangenen drei Jahre sorgen dafür. Hingehen, anders sehen.
Bis 14. Juli 2024
im Erdgeschoss des Museum Brandhorst, täglich (außer Montag) 10 bis 18, Do bis 20 Uhr.