„Wir müssen unsere Arbeit schützen“

von Redaktion

Nun verzichten auch Mannheim und das Nederlands Dans Theater auf Goecke-Choreografien

VON JULIA GIERTZ, CHRISTINA STICHT UND MICHAEL SCHLEICHER

Das Nationaltheater Mannheim (NTM) zieht nun auch Konsequenzen aus der Hundekot-Attacke von Choreograf Marco Goecke auf eine Tanz-Kritikerin. Die als dreiteiliger Abend geplante Premiere mit dem Titel „Young Lovers“ am 15. April werde ohne Goeckes Werk „Woke up blind“ stattfinden, teilte das NTM mit. „Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir auf sein Stück verzichten und wieder zur Ruhe finden, um unsere eigentliche Arbeit zu schützen und leisten zu können“, betonte Stephan Thoss, Intendant für Tanz am NTM.

Als Ballettdirektor der Staatsoper Hannover hatte Goecke Mitte Februar bei der Premiere des Ballettabends „Glaube – Liebe – Hoffnung“ eine Kritikerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Foyer des Opernhauses mit Hundekot beschmiert (wir berichteten). Zuvor hatte der 50-Jährige der Journalistin vorgeworfen, immer „schlimme, persönliche“ Kritiken zu schreiben. Die Staatsoper in Niedersachsen löste daraufhin den Vertrag Goeckes als Ballettdirektor mit sofortiger Wirkung und im gegenseitigen Einvernehmen auf.

Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Künstler wegen der Hundekot-Attacke sind derweil noch nicht abgeschlossen. Es gehe um den Vorwurf der einfachen Körperverletzung und der Beleidigung, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover, Kathrin Söfker. Neben der betroffenen Journalistin habe auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ inzwischen Anzeige gestellt. Zu Einzelheiten des Verfahrens wollte sich Söfker nicht äußern, auch nicht dazu, wann mit einem Ergebnis zu rechnen sei. Der Mannheimer Intendant Stephan Thoss betonte, dass Goecke ihm und vielen anderen Kollegen künstlerisch weit voraus sei. „Der Vorfall ist aber absolut inakzeptabel.“ Jegliche Form von Gewalt – ob verbal, körperlich oder anderweitig – sei abzulehnen.

Goecke war bis zu der Attacke international geschätzt. Sein Gesamtwerk umfasst mehr als 60 Choreografien, die sich etwa im Repertoire des Stuttgarter Balletts, des Ballet de l’Opéra de Paris, des Staatsballetts Berlin und des Nederlands Dans Theaters befinden. Letzteres hat am Freitag mitgeteilt, die Zusammenarbeit auszusetzen. Goecke werde in der nächsten Spielzeit kein neues Werk produzieren; bisherige Choreografien würden aber weiter aufgeführt. Seit 2019 ist der Künstler zudem als sogenannter Artist in Residence bei der Stuttgarter Compagnie Gauthier Dance. Auch hier bleiben fertige Kreationen im Repertoire. Ein Kurzfilm Goeckes werde in „15 Years alive“ ab März aber aufgrund der aktuellen Situation nicht aufgeführt.

Das Münchner Gärtnerplatztheater zeigt am 3. März nochmals Goeckes Abend „La Strada“ von 2018 nach dem Film von Federico Fellini. Weitere Vorstellungen oder eine erneute Wiederaufnahme der Produktion in der kommenden Saison sind nicht geplant, wie das Haus auf Anfrage erläutert.

Wie berichtet, hat auch das Bayerische Staatsballett mitgeteilt, die Kreation „Sweet Bones’ Melody“ aus dem Abend „Passagen“ nach Rücksprache mit allen Beteiligten im Spielplan zu belassen; nächste Vorstellung ist am 4. April. Außerdem wird das Bayerische Junior Ballett die Goecke-Arbeit „All long Dem Day“, die der Choreograf 2015 für den und mit dem Tanz-Nachwuchs realisierte, bei den Münchner Opernfestspielen vorstellen. Das Werk ist Teil des Abends „Sphären.01“, der am 23. Juni im Prinzregententheater Premiere feiert. Zugleich macht das Staatsballett aber deutlich, dass die Hundekot-Attacke des Choreografen, der 2022 mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt wurde, „in jeder Hinsicht inakzeptabel“ sei: „Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Sie muss ohne Einschränkungen und von allen respektiert und verteidigt werden.“

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